Töchter des Schweigens
noch einen Kontrollgang durch den Hotelgarten machen. Bei dieser Hitze lassen alle die Fenster offen oder halten sich noch eine Weile auf der Terrasse auf, und manchmal sieht oder hört man interessante Dinge zur Ergänzung der Einträge in ihrem Heft. Und wenn nicht, bleiben ja immer noch einige Tage. Jedenfalls hat sie sich geschworen, sie bis zu ihrer Rückkehr nach Hause alle in der Hand zu haben. Das ist ihre Fahrkahrte nach Valencia und in die Zukunft. Ihre einzige Chance.
2007
»Diese Zeremonie war also Ingrids Idee«, bemerkte Candela, während sie den Wagen anließ, und versuchte, unbefangen zu klingen, als hätte das schreckliche Gespräch in ihrer Wohnung in Alicante, bei dem Rita sie neuerlich abgewiesen hatte, nie stattgefunden.
»Ich wusste auch nichts davon. Teresa hatte mir nichts gesagt.« Ritas Tonfall war völlig natürlich. Entweder sie hatte es längst wieder vergessen, oder es war so klar für sie, dass sie nicht einmal auf die Idee kam, Candela könnte gekränkt sein. »Aber es war schön, findest du nicht? So etwas könnte mir auch gefallen, wenn ich an der Reihe bin.«
Candela knirschte mit den Zähnen. Wie leicht es ist, rein theoretisch darüber zu sprechen, wenn du glaubst, noch zwanzig oder dreißig Jahre vor dir zu haben!
»Wo ist sie?«
»Wer? Ingrid? Bis jetzt noch in Andalusien, aber anscheinend hat sie beschlossen, für ein paar Tage nach Kuba zu fliegen, um ihre Kinder abzuholen.«
»Und ihren Ex zu sehen.«
»Das glaube ich nicht. Sie hatte von Guillermo und seinen Künstlerallüren die Nase ziemlich voll.« Rita sah Candelas verständnislose Miene und erklärte: »Er ist Tänzer. Wie fast alle Kubaner …«, setzte sie mit ironischem Lächeln hinzu.
»Ja. Das wirkt offenbar sehr anziehend.« Sie schwiegen eine Weile, während Candela auf den Autobahnzubringer abbog. »Rita, David hat erzählt, dass der DNA -Test, dem man dich wegen der Zigarettenkippe in Lenas Wohnung unterzogen hat, positiv war.«
»Das habe ich mir schon gedacht.«
»Ach ja?«
»Natürlich. Wer immer sich die Mühe gemacht hat, eine falsche Spur zu legen, müsste schon sehr bescheuert sein, eine Kippe zurückzulassen, die nicht von mir stammt. Nur dürfte auch der Polizei klar sein, dass man eine Kippe einfach aus einem Aschenbecher nehmen, sie in die Tasche stecken und an jeden beliebigen Platz legen kann. Das beweist keineswegs, dass ich dort war, bevor ich ihre Leiche fand. Glaubst du, sie können mir einen Mord anhängen, wenn das alles ist, was sie haben?«
»Nein. Damit würden sie sich lächerlich machen. Solange sie nicht wenigstens ein Tatmotiv finden …«
»Das ist es, was mir keine Ruhe lässt, Candela. Wer wollte Lena umbringen, die Sanfteste von uns allen? Nicht einmal in dem privaten Brief an Sole hat sie ein einziges böses Wort über irgendeine von uns geschrieben, denn da hätte sie ja wirklich Gelegenheit gehabt, über uns herzuziehen, und davon ausgehen können, dass wir es nie erfahren!«
»Ja. Um ehrlich zu sein, bleibt mir bei so viel Liebe und Güte die Spucke weg. Hätte ich so einen Brief geschrieben, ich hätte kein gutes Haar an euch gelassen. Na ja, an dir vermutlich schon. Aber an den anderen … Carmen ist Alkoholikerin und Nymphomanin, Tere ist ein Kavallerieoffizier, Ana ist eine Heuchlerin, Sole ist immer noch eine Zimperliese, und ich …«
»Und du?«
»Ich bin eine Lesbe, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.«
»Hier hält man aber offenbar mich für die einzige Lesbe und dich für heterosexuell, falls dir das noch nicht aufgefallen ist …«, entgegnete Rita mit spöttischem Unterton. »Immer predigst du, dass man Klartext reden und für das eintreten muss, was man ist und was man denkt, … und trotzdem hast du dich nie dazu durchgerungen.«
»Ich hatte nichts zu gewinnen und viel zu verlieren. Und außerdem geht es keinen etwas an, was ich bin.«
»Aber wie ist es möglich, dass niemand in all den Jahren davon erfahren hat? Hattest du denn keine Freundinnen, Partnerinnen?«
Candela stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus.
»Ich hatte durchaus die eine oder andere Affäre, klar. Nichts Ernstes. Nichts, wofür ich zu Umhang und Maske gegriffen und mich mit dem Schwert in der Hand der Welt zum Kampf gestellt hätte. Wie du vermutlich auch.«
Während des folgenden langen Schweigens versuchten beide abzuwägen, inwieweit sie der anderen vertrauen konnten und ob dies der geeignete Zeitpunkt für eine Aussprache war.
»Ich fühle mich nun einmal
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