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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: barcelo
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niederließen. Danach, nun ja, Arbeit, Familie …, das Übliche halt. Aber wenn sie von diesem Sommer sprechen, gibt es immer ein Vorher und ein Nachher. Und nicht nur bezogen auf sie selbst, sondern auch auf das Land im Allgemeinen. Man darf nicht vergessen, dass ein knappes Jahr später Franco starb und sich das Spanien, das wir kannten, fast schlagartig in etwas völlig anderes verwandelte. Schau dir die beiden folgenden Briefe an. Rufen sie nicht viele Erinnerungen an deine eigene Jugend in dir wach, an die Welt, wie sie früher war?«
     
    Lena an Sole:
    Am 12. Oktober war der »Tag der Rasse«, so hieß das damals, und es war ein Feiertag. Weißt du noch, dass wir immer auf der Plaza Castelar unter der Statue verabredet waren, um zur Messe zu gehen und dann bis zum Essen einen Spaziergang zu machen? Wenn wir uns etwas Neues gekauft hatten, schon mit langen Ärmeln, führten wir es an diesem Tag zum ersten Mal aus, und es war wie eine Modenschau, wenn nach und nach die Freundinnen einliefen. In einem Jahr hattest du eine malvenfarbene Hose und einen sehr langen Pullover an und dazu eine spektakuläre Kette, die dir dein Onkel aus Madrid mitgebracht hatte. Du warst wunderschön, Sole, wie immer, du warst immer wunderschön. Und auch wenn ich mich nie getraut hätte, solche Sachen zu tragen, machte es mir Freude, dich anzusehen und zu wissen, dass du meine Freundin warst und alle Jungs sich nach dir umdrehten. Ich weiß noch, wie Candela sich empörte, weil du in diesem Aufzug in die Kirche wolltest, und offen gestanden sah der schwarze Schleier, den wir in der Kirche noch tragen mussten, zu deinem Ensemble ziemlich komisch aus. Candela sagte immer, eine der ersten Regeln, die man ihr zu Hause beigebracht hätte, lautete: »Sein allein genügt nicht, man muss auch scheinen«, erinnerst du dich? Vermutlich war das der Grund, warum die Kinder aus roten Familien, wie ich, mit Feuereifer bei der Kollekte der Päpstlichen Missionswerke halfen, die Filmvorführungen der Gemeinde besuchten und sonntags einen Rock anzogen, um nicht der Versuchung zu erliegen, während der Messe die Beine übereinanderzuschlagen.
    Du hattest das nicht nötig; alle Welt wusste, dass du »aus gutem Haus« stammtest, wie Candela, dass dein Großvater Bürgermeister gewesen war, dass die Deinen ehrenwerte Leute aus der Calle Nueva und Gründungsmitglieder des Clubs waren. Du konntest herumlaufen, wie du wolltest, und eine Kette bis zur Taille tragen und bliebst trotzdem ein braves Mädchen, dazu bestimmt, gut auszusehen und zu reisen, und musstest nicht einmal den Sozialdienst ableisten wie alle anderen, die den Führerschein machen oder einen Pass beantragen wollten.
    Wenn ich es mir recht überlege, begreife ich bis heute nicht, wie wir so dicke Freundinnen sein konnten, wir sieben: Candela und du, so fein und so staatstreu; Ana, die kämpferische Rote; Teresa, die besonnene, fleißige Tochter eines Guardia Civil; Carmen, der Wildfang, die nie einen Finger rührte und auf Teufel komm raus abschrieb, um sich durchs Abitur zu mogeln; Marga, die Fotografin, die Bewahrerin der Geheimnisse. Und ich: Magda, einfach bloß ich, mit meinen Träumen vom Weltfrieden und von der universellen Liebe, mit meinem Nomadenherzen. Il cuore è uno zingaro , erinnerst du dich an dieses Lied? Ich glaube, Nicola Di Bari hat es gesungen. Ich erinnere mich an kaum ein Lied, das nicht auf Englisch gewesen wäre, aber dieses mochte ich, und ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt daran denke.
    Mitunter glaube ich, das Einzige, was uns von der Vergangenheit bleibt, ist der Soundtrack. Geht es dir auch manchmal so, dass du ein Lied hörst oder es dir einfach in den Sinn kommt, und mit einem Mal siehst du eine Menge Bilder vor dir? Als ob das Lied ein Sesam-öffnedich wäre und den Felsblock der Zeit zur Seite geschoben hätte, damit du einen Blick in die Wunderhöhle werfen kannst.
    Vor einer Minute, während der Rechner hochfuhr und ich wartete, dass das Teewasser kochte, lief im Radio Sacramento . Kennst du das noch? Ich weiß nicht einmal mehr, wer es gesungen hat, aber kaum hatte ich die ersten Takte gehört, waren meine Küche, meine Katze und der Geruch meiner Teekräuter plötzlich verschwunden, und ich fühlte mich ins Crazy Daisy versetzt, die Diskothek auf Mallorca, in jene magische Nacht, in der César mich küsste. Wie oft habe ich seither an ihn gedacht! Was mag wohl aus ihm geworden sein?
    Dort lief Sacramento etwa alle halbe Stunde, und jedes Mal

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