Töchter des Schweigens
weggestorben, ich habe keine Kinder, bin nicht verheiratet, mit meinem Partner Gonzalo habe ich alles geregelt, aber ich besitze etwas Geld und einiges an Land, und das soll sich der Staat nicht einfach so unter den Nagel reißen. Immerhin habe ich mein Lebtag Steuern dafür bezahlt, und das reicht. Bevor du wieder aufgetaucht bist, hatte ich vor, alles, mit Ausnahme von ein paar Andenken für die Mädels, einer gemeinnützigen Organisation zu hinterlassen, aber jetzt bist du bei mir, und damit sieht die Sache anders aus. Ich möchte alles, was ich habe, dir vermachen. Und so, wie die Dinge hierzulande liegen, wirst du nach Abzug der Erbschaftssteuer von dem Rest nicht einmal mehr ins Kino gehen können.« Sie lachte schwach über ihren eigenen Witz. »Es sei denn …«
»Es sein denn … was? Hör auf, um den heißen Brei herumzureden, und sag mir, was ich tun soll. Das kann so schwierig doch nicht sein.«
»Es sei denn, du heiratest mich.«
Rita war baff. Während sie Candela zuhörte, war ihr alles Mögliche durch den Kopf gegangen, doch das war das Einzige, womit sie nicht gerechnet hatte. »Wie gesagt, ich will deine Antwort nicht sofort. Und nicht nur, weil ich dir Zeit geben will, darüber nachzudenken. So großzügig bin ich nicht. Heute Nachmittag wird etwas geschehen, das du berücksichtigen solltest, ehe du dich entscheidest, im Moment möchte ich lediglich, dass du es weißt. Wenn wir heiraten, auch wenn es praktisch in articulo mortis ist, wirst du meine Witwe und direkte Erbin sein. Nein! Sag jetzt noch nichts, Marga, bitte!«, fuhr sie auf, als sie merkte, dass Rita zu einer Erwiderung ansetzte. »Ich würde es nicht ertragen, wenn du aus purem Mitleid jetzt Ja sagst und es heute Abend bereust. Warte noch ein wenig. Ein paar Stunden.«
Rita stand auf, verstört und bestürzt, und ging zum Fenster. Sie brauchte eine Zigarette, sie hielt diese Kälte, diese Nachricht, diese bald fällige Entscheidung nicht aus ohne eine Zigarette.
»Mach schon, geh eine rauchen«, vernahm sie Candelas Stimme vom Bett. »Sag Teresa, sie soll einen Moment reinkommen, und dann lasst mich bitte eine Weile schlafen. Ich bin erledigt.«
Rita trat ans Bett, streichelte ihr über den Kopf und küsste sie auf die Wange, langsam, genießerisch. Candela strich ihr übers Gesicht und legte ihr einen Finger auf die Lippen.
»Pssst, sag nichts, Marga.«
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe. Darf ich?« Candela schloss die Augen, und ihr eingefallenes Gesicht öffnete sich zu einem Lächeln wie eine Blüte. »Ich liebe dich«, wiederholte Rita sehr leise, bevor sie das Zimmer verließ.
1974
Im Bus, der sie nach Palma zurückbringt, lehnt Loles die Stirn gegen die Fensterscheibe und bemüht sich, nicht vor den fünfzehn Abiturienten zu weinen, deren hilflose, verzagte Blicke ihr das Herz brechen. Es sind gute Jungs, sie mögen sie, obwohl sie Mathematiklehrerin ist und sie sie schon seit drei Jahren ertragen müssen. Sie weiß, sie würden ihr gern etwas sagen, sie trösten, weil ihr Mann sie so gedemütigt hat, doch keiner wagt mehr, als ihr ein kleines aufmunterndes Lächeln zu schenken. Und das ist auch besser so. Mit Telmo ist derzeit nicht gut Kirschen essen, und letztlich ist niemandem damit gedient, wenn man sich in einen Ehestreit einmischt, einem Schüler schon gar nicht. Sie sehnt sich danach, im Hotel anzukommen, sich ins Bett zu legen und in der Dunkelheit ungestört darüber nachzudenken, was mit ihm los sein könnte. Er wird in der Hotelbar bleiben, bis er annimmt, dass sie eingeschlafen ist, wie jeden Abend, aber das ist besser, als sich wieder anzubrüllen.
Sie legt die Hand auf ihren Bauch und versucht, Trost daraus zu schöpfen, dass sie den dritten Monat fast erreicht hat, aber noch regt sich das Baby nicht, und es ist beinahe eine Frage des Gottvertrauens zu glauben, dass sie endlich ein Kind haben werden. Ein Kind, das Telmo schon nicht mehr will.
Nicht dass er ihr das ausdrücklich gesagt hätte, aber Loles weiß, dass Telmo aufgehört hat, sie zu lieben. Schon seit vor Weihnachten ist er nicht mehr derselbe. Er erfindet Ausreden, wenn er spät heimkommt, geht zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Haus, sitzt die ganze Zeit stumpfsinnig vor dem Fernseher, ohne wahrzunehmen, was auf dem Bildschirm geschieht, stellt unwirsch fest, sie hätten viel zu früh geheiratet, weil es keine andere Möglichkeit gab, zusammen zu sein, sagt sogar, er erwäge eine Versetzung, selbst wenn sie dann nicht
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