Töchter des Schweigens
ihr Leben streiften, ohne allzu viele Spuren zu hinterlassen, alle einander ähnlich in ihren ewigen Trauerkleidern, mit ihren kindischen Ängsten, ihren Unpässlichkeiten und kleinen Lastern, dem Milchkaffee oder der heißen Schokolade am Nachmittag, den wöchentlichen Menschärgere-dich-nicht-Partien, den Katechismus-Kränzchen, dem Häkelkreis, den höchst seltenen Besuchen des Bischofs sowie dem einen oder anderen Film, der im Kirchenblättchen als unbedenklich eingestuft worden war.
Als sie am Eingang des Labyrinths stand, wesentlich früher als ihre Schulkameradinnen, wusste Candela, dass die erste Wahl die zwischen zwei Türen war, die allerdings beide zum selben Ort führten. Die Alternative bestand darin, dies zu akzeptieren und sich laut dazu zu bekennen oder es zu akzeptieren und sich zu verstellen. Sie musste nicht lange überlegen. Sie liebte ihre Familie, obwohl sie, wäre sie gefragt worden, ein anderes Milieu vorgezogen hätte, eines wie Margas oder Anas, die in Schlössern geboren waren, wo es keine gerahmten Fotos von Franco gab, keine Häkeldeckchen auf sämtlichen Sesseln, keine Plastikblumen vor dem Bild der Jungfrau von Lourdes.
Seit Candela das Labyrinth des Lebens vor sich sah, wusste sie, dass ihre einzige Chance darin bestand, die Frauen, die ihr das Schicksal beschert hatte und die sich dem einzigen mit eigenem Willen ausgestatteten Familienmitglied bereitwillig unterordneten, mit sanfter Gewalt umzuerziehen. Mit zwölf Jahren überredete sie ihre Großmutter, einen Fernsehapparat zu kaufen, was die Erziehung ihrer Familie erheblich beschleunigte, und noch bevor sie achtzehn war, stand schon ein Auto in der Garage und wartete darauf, dass sie es offiziell fahren durfte. Kurz vor ihrem vierzehnten Geburtstag hatte ihre Mutter sie gebeten, an den regelmäßigen Sitzungen mit Don Antonio, dem Verwalter, teilzunehmen, und sie war noch keine sechzehn, als sie bereits in der Lage war, die Finanzlage zu überblicken und Entscheidungen zu treffen, die sie dann ihrer Mutter mitteilte, wenn sie ihr die Papiere zur Unterschrift vorlegte. Zu dieser Zeit hatte ihre Großmutter längst jegliches Interesse an weltlichen Dingen verloren, und ihre beiden Tanten waren schon zufrieden, wenn sie nur wussten, dass es ihnen sonntags nie an Kuchen mangelte und die Monatsbeiträge der Sterbekasse El Ocaso pünktlich entrichtet wurden, um ihnen ein würdiges Begräbnis und einen guten Platz in der Familiengruft zu sichern.
(Mir wird erst jetzt bewusst, wie tendenziös die Beschreibung meiner Tanten klingt. Mir kamen sie uralt vor, aber sie waren wohl erst Anfang vierzig, und auch wenn sie nie darüber sprachen, nehme ich an, dass sie, abgesehen von Begräbnis und Familiengruft, durchaus ihre Sehnsüchte und Wünsche hatten. Doch wenn ich mir Fotos aus dieser Zeit anschaue, wirken sie immer so sittsam, immer in Halbtrauer, ungeschminkt, in flachen Schuhen, mit diesen Betschwestermienen, dass sich mir die Frage aufdrängt, was sich unter diesen züchtigen Kleidern wohl geregt haben mag, wie oft ihnen, wenn sie in ihrem Zimmer lagen, dem mit den Zwillingsbetten und den gehäkelten, mit apfelgrünem Satin gefütterten Tagesdecken, der Gedanke gekommen sein mochte, dass sie sich auf ihrem Weg durchs Labyrinth geirrt hatten. Aber ihre Jugend verstrich in der schlimmsten Nachkriegszeit, als es kaum noch Männer gab und alles verboten war, als die einzige Zuflucht für eine anständige unverheiratete Frau die Kirche oder die Sección Femenina war. Sie dürften nicht allzu viele Türen auf ihrem Weg gefunden haben, und so blieben ihnen schließlich nur die Sonntagskuchen und später die Modezeitschriften und Magazine, die ihnen eine Welt zeigten, so unwirklich und unerreichbar wie die der Hollywood-Filme. Und trotzdem verloren sie ihr Lächeln nicht, und wenn ich heute an sie denke, sehe ich sie singend die Geranien und Balsaminen auf der Terrasse gießen und glaube, so seltsam es auch klingen mag, dass sie glücklicher waren als ich mit all meiner Bildung, meinen Reisen, meiner Erfahrung und meiner Überheblichkeit.)
Der nächste Schritt auf dem Weg durch das Labyrinth entschied sich im Gymnasium, als Candela das Bedürfnis nach Altersgenossinnen verspürte und Freundschaften einging, die das ganze Leben halten sollten, obwohl die Mädchen, die später die Clique vom 28sten bildeten, sie anfangs anglotzten, als käme sie von einem anderen Stern. Sie hat nie erfahren, was genau sie in ihr sahen, warum sie ihr mit diesem
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