Töchter des Schweigens
Weihnachtsschmuck stöbern musste. Die Girlanden und Lampions waren leichter zu finden und hängen bereits zwischen den Bäumen, wo die Brise ihre Papierfransen rascheln lässt, ein sachtes, frisches Geräusch wie zur Ankündigung des Sommers, der in diesem Jahr schon Einzug hält, obwohl erst der 3. Juni ist.
El Campo ist herrlich, übersät von Rosen, Margariten und Gladiolen. Die Bougainvillea klettert über die halbe Gartenlaube und taucht alles in Rosa, überwuchert von Geißblatt und Jasmin, der seine Blüten abends öffnet, wenn die blaue Prunkwinde die ihren schließt.
Marga bleibt einen Moment in der Tür stehen, schlingt die Arme um den Körper und muss lächeln. Achtzehn Jahre. Sie ist achtzehn geworden, und das wird sie feiern mit Pauken und Trompeten und allen ihren Freundinnen, einigen Freunden, den Freunden ihres Bruders …, über zwanzig Gästen, die ab acht eintrudeln werden, sodass ihr noch genug Zeit bleibt, ein Bad zu nehmen, ihre Haare zu waschen, sich ein bisschen zu schminken und endlich zu entscheiden, was sie anziehen soll: das lange orangefarbene Kleid, das ihre Mutter ihr voller Vorfreude gekauft hat, oder den psychedelisch gemusterten Overall, den sie sich selbst ausgesucht hat und der für ihre Verhältnisse zwar ziemlich gewagt ist, aber zumindest lange Hosen hat und nur den Rücken fast vollständig freilässt.
Es war nicht leicht, ihre Familie zu überreden, aber sie hat es geschafft. Das letzte Fest hatte sie zu ihrem zehnten Geburtstag gefeiert, als ihre Schulkameradinnen noch in Faltenröcken und Bommelstrümpfen erschienen waren und die ganze Sause aus Coca-Cola und Omas Mandeltorte bestanden hatte. Heute wird das anders. Heute werden sie feiern wie die Großen: mit einem Abendessen, alkoholischen Getränken und Musik. Sie muss Tony noch sagen, dass er nach dem Plattenspieler sehen soll, um sicherzustellen, dass auch alles funktioniert und die Musik auf der improvisierten Tanzfläche unter dem Olivenbaum, wo früher die Schaukel gestanden hat, gut zu hören ist.
Sie geht durch die Küche Richtung Badezimmer, umarmt spontan ihre Mutter, die protestiert und sich wehrt, damit ihr die Tortilla nicht anbrennt. Dann fällt sie auch Tante Dora um den Hals und stellt alle ihre schon hundertmal gestellten Fragen noch einmal, sodass sich die beiden Frauen ein Schmunzeln nicht verkneifen können.
»Aber ihr verschwindet dann, nicht wahr?«
»Was habt ihr denn vor, dass ihr uns unbedingt loswerden wollt?«, erwidert die Tante mit gespielter Entrüstung. »Wir stören euch bestimmt nicht. Wir sind doch nur dein Vater, deine Mutter und ich. Hier ist Platz genug, und wenn wir im Haus bleiben, kommen wir euch doch gar nicht in die Quere …«
»Tante Dora! Wir haben ausgemacht …«
»Ja, mein Kind, ja«, mischt sich ihre Mutter ein. »Ich bleibe auf keinen Fall hier. Aber jetzt werden deine Tante und ich uns ein bisschen herrichten, warten, bis die Gäste da sind, sie begrüßen und uns verabschieden.«
»Aber du kennst sie doch alle.«
»Ich möchte aber sehen, wie sie sich in Schale geworfen haben und wie erwachsen sie geworden sind. Hör mal, du Göre, das ist nicht nur dein Geburtstag. Ich habe auch etwas zu feiern, weißt du? Heute vor achtzehn Jahren habe ich dich zur Welt gebracht. Und es war nicht leicht, das versichere ich dir.«
»Ist ja gut, ist ja gut, ich bin schon still.«
»Marga?«, fragt Tante Dora und nimmt die Schürze ab. »Hast du dich schon entschieden, ob Kleid oder Overall?«
»Also …« Marga schielt zu ihrer Mutter hinüber, die weiterarbeitet, als interessierte sie das Gespräch nicht, aber Marga weiß, dass sie auf ihre Antwort lauert. »Ich glaube, ich ziehe den Overall an. Das Kleid ist zu schön« – sie hört ihre Mutter leise schnauben – »und ich denke, ich werde es mir für die Fiesta im September aufheben. So habe ich etwas Neues für den Ball im Club. Was meinst du, Mama?«
»Ich? Wie du willst. Es gehört dir.«
»Der Overall ist …, ich weiß nicht …, nicht so förmlich.«
»Na ja. Dann geh mal ins Bad, und mach dich hübsch. Manolo muss jeden Moment hier sein. Er hat mit Tony vereinbart, dass er früher kommt, falls wir noch Hilfe brauchen.«
»Wie nett von ihm!« Irgendwie passt es ihr nicht, dass ihre Mutter von Manolo spricht wie von einem Familienmitglied, obwohl sie erst seit November zusammen sind. »Davon hat er mir gar nichts gesagt.«
»Los, los!« Die Tante scheucht sie aus der Küche. »Zieh dich um. Du musst ja
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