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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: barcelo
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der Schule habe ich eine Menge gemacht, viele kleine Jobs hier und da. Ich habe erst ein paar Jahre in Barcelona gelebt, dann in Madrid und eines Tages … Du wirst es nicht glauben, weil es total nach Filmstory klingt: Ich war in Madrid in einem Taxi unterwegs, und als wir an einem leeren Taxistand vorbeifahren, sehen wir plötzlich eine hochschwangere Frau, die uns völlig hysterisch heranwinkt. Der Taxifahrer hält an und fragt, was los ist, und ehe die Frau eine Antwort gibt, setzt sie sich neben mich ins Auto und sagt dann, er müsse sie in eine Klinik bringen, das Fruchtwasser sei schon abgegangen, und die Wehen kämen alle zwei Minuten. Der Mann fährt los, zu Tode erschrocken, und ich versuche, sie zu beruhigen. Wir geraten in einen Stau, die Frau fängt an zu schreien, und ich will schon aussteigen und mich aus dem Staub machen, da packt sie meine Hand und jammert: ›Helfen Sie mir, bitte, helfen Sie mir.‹ Ich hatte natürlich keinen blassen Schimmer, was ich tun sollte. Der Taxifahrer funkte unentwegt seine Zentrale an, damit die einen Krankenwagen schickte, und das arme Ding war drauf und dran, in diesem Taxi ihr Kind zu gebären. Kurzum, ich half ihr, so gut ich konnte, und als der Krankenwagen die Gran Vía erreichte, hielt ich bereits ein mit Blut und Schleim verschmiertes kleines Mädchen in den Armen. Ich begleitete María ins Krankenhaus, dort wurde die Kleine versorgt, die auf Wunsch der Mutter Ana heißen sollte, wie ich, und als ich wieder auf der Straße stand, habe ich den Entschluss gefasst, eine Ausbildung zur Hebamme zu machen, um Frauen in diesem kritischen Moment zu helfen und dazu beizutragen, dass es eine positive Erfahrung für sie wird und ihre Würde in jedem Augenblick gewahrt bleibt. Das war vor sechsundzwanzig Jahren. Und es gefällt mir immer noch. Ich habe nach wie vor das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, gewissermaßen Wiedergutmachung zu leisten für die vielen Menschen dieser Welt, die ungerechterweise ihr Leben verlieren. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
    Rita nahm einen langen Schluck Bier, die Augen blicklos auf das Pinienwäldchen beim Bungalow gegenüber gerichtet. Es passte zu Ana. Sie war von jeher bereit gewesen zu helfen, Hand anzulegen, sich für das, woran sie glaubte, stark zu machen. Was spielte es also für eine Rolle, dass sie keine Anwältin geworden war und stattdessen Kindern auf die Welt half, zumal sie es als Privileg empfand? Ana schien ihr keineswegs eine »kastrierte Frau« zu sein, wie Candela meinte, nur weil sie nicht Jura studiert hatte und nicht mehr politisch aktiv war. Wie viele Erwachsene werden tatsächlich das, wovon sie als Schüler geträumt haben? Die meisten entscheiden sich am Ende doch für etwas anderes, wie sie selbst, wie ja auch Candela, die sich dennoch das Recht herausnahm, Ana wegen etwas zu kritisieren, das sie sich selbst zugestand.
    »Ich habe lange versucht, die Sache zu rechtfertigen, dann habe ich versucht, sie zu vergessen. Aber erst nachdem ich zum ersten Mal ein Kind entbunden hatte, fing ich an, mich besser zu fühlen, und stellte fest, dass es eine Art Wiedergutmachung war. Das verstehst du doch, nicht wahr?«, fragte sie wieder.
    Rita sah sie geistesabwesend an. Immer häufiger verlor sie sich mitten im Gespräch in ihren eigenen Gedanken, und dann fiel es ihr schwer, den Faden wieder aufzunehmen. In einem Roman war alles ganz einfach: Die Figuren redeten, und der Leser konnte nicht nur ihren Worten folgen, sondern auch den Gedanken, die den Worten zugrunde lagen und diesen nicht immer entsprachen; im wahren Leben dagegen fand man nie wirklich Zugang zu den Gedanken der anderen. Deshalb war ihr das Kino lieber als Bücher: weil es lebensnäher war. Sowohl in der Realität als auch im Film kann man lediglich Vermutungen über die Gedanken und Gefühle seines Gegenübers anstellen, soweit sie sich aus dessen Blick, Mimik und Körpersprache ableiten lassen.
    Ana beugte sich jetzt nach vorn, beide Hände um ihr Glas geklammert, als wartete sie auf ein Zeichen, dass Rita verstanden hatte, worum es ihr ging, als hoffte sie auf Bestätigung, und Rita nickte, ohne genau zu wissen, was sie damit eigentlich bestätigte.
    »Natürlich verstehe ich dich, Ana«, sagte sie schließlich, und ihre Freundin lehnte sich mit einem kleinen Lächeln, das Rita an früher erinnerte, wieder in ihren Sessel zurück. »Hör auf, dir den Kopf zu zerbrechen. Lass es gut sein.«
    »Meinst du?«
    Jetzt sah sie aus wie ein kleines Mädchen

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