Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Übersetzer.«
Nora hatte den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und versuchte erfolglos, den Plastikdeckel auf einen Becher Latte macchiato to go zu fummeln. Er rutschte ab, und heißer Kaffee ergoß sich über ihre Hand.
»Verdammter Mist.«
»Wie bitte, Frau Winter?«
»Ich fragte, wo die junge Dame jetzt ist.«
»Sitzt hier vorne im Wartebereich. Mit ihrem … was auch immer.«
Nora grüßte im Vorbeigehen den Kollegen Gisbert Grauvogel und wandte sich wieder dem Gespräch zu. »Ich bin in fünf Minuten da.«
In dem leer stehenden Büro im vierten Stock des Präsidiums gab es einen Besprechungstisch mit vier Stühlen, ein üppiges Drachenbäumchen, an dessen Übertopf noch das Preisschild klebte und einen ausgemusterten Flachbildschirm. Die grimmigen Gesichter auf dem Fahndungsplakat an der Wand wurden von der Morgensonne in orangefarbenes Licht getaucht, es duftete nach Kaffee.
Nora Winter zog mit dem Haargummi ihren blonden Pferdeschwanz fest und verschränkte die Hände auf der Tischplatte. Die aufgeschlagene Akte lag vor ihr, daneben die Pässe der Ukrainerin und ihres Begleiters.
Die Frau trug ihre kniehohen Stiefel, den Minirock und die schwarz glänzende Jacke mit Fellbesatz stolz wie eine Uniform. Auf ihrer Wange prangte ein handtellergroßer Bluterguss in Grün- und Gelbtönen.
»In welchem … Verhältnis stehen die beiden zueinander?«, richtete Nora ihre Frage an den neben ihr sitzenden Dolmetscher, ließ jedoch den Begleiter der Frau mit dem Namen Denys Woronin, der ihr gegenübersaß, keine Sekunde aus den Augen. Der wechselte einen verschwörerischen Blick mit der jungen Frau, noch bevor der Dolmetscher den Mund aufgemacht hatte.
Ertappt, dachte Nora.
»Win mij dwojuridnij brat«, sagte die Frau auf Ukrainisch.
»Er ist ihr Cousin«, übersetzte der Dolmetscher.
Nora lehnte sich vor. »Sie warten bitte draußen.«
Der Junge setzte ein übertrieben verwirrtes Gesicht auf.
»Ja bazaju, tschob woni…«
Nora würgte den Dolmetscher ab: »Der Kerl hat mich schon verstanden. Ich glaube, ich kann auf Ihre Dienste verzichten, danke für Ihre Mühe. Begleiten Sie den jungen Mann bitte nach draußen. Er soll unten in der Wache warten.«
Der Junge schenkte ihr einen langen verächtlichen Blick und rührte sich nicht vom Fleck.
Nora nahm seinen Pass und blätterte darin. »Oder vielleicht unterziehen wir Pass und Visum mal einer genaueren Überprüfung?«
Der Junge sprang auf. Nach einem letzten wütenden Schnauben folgte er dem Dolmetscher nach draußen. Die Tür fiel ins Schloss.
Jetzt, wo ihr Aufpasser weg war, fixierte die Frau sehnsüchtig Noras Kaffeebecher. Die Kommissarin schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und schob das Getränk über den Tisch. Während die junge Frau trank, den Becher mit ihren schmalen Händen umschließend, setzte sich Nora neben sie.
»Sie müssen nicht wieder zurück. Ich kann Sie an einem Ort unterbringen, wo Sie vor ihm sicher sind.«
»Es war falsch, zur Polizei gehen«, flüsterte das Mädchen, stellte den Becher ab und vergrub das Gesicht in den Händen.
Nora reichte der Frau ein Taschentuch. »Niemand hat das Recht, Sie so zu behandeln. Es war richtig, dass Sie das zur Anzeige gebracht haben.«
Das Mädchen weinte still vor sich hin.
Nora ging in den Flur hinaus und kehrte mit dem Prospekt des Frankfurter Vereins zurück, der mehrere Frauenhäuser in der Stadt betrieb. Sie legte das Faltblatt auf den Tisch, doch das Mädchen starrte auf seine Stiefelspitzen.
Nora zog die Akte über den Tisch und blätterte darin. Das Mädchen hatte Strafantrag gegen einen gewissen Maksym Kurylenko wegen leichter Körperverletzung gestellt. Den Antrag konnte sie, im Gegensatz zu einer Strafanzeige, sehr wohl zurückziehen, aber Nora wollte es ihr und vor allem ihrem Peiniger so schwer wie möglich machen. Solange die junge Frau den Unterschied zwischen einem Strafantrag und einer Strafanzeige nicht kannte, würde Nora nichts unversucht lassen, sie zu einem Besuch im Frauenhaus zu bewegen.
Nun strich sie der Frau sanft mit der Hand über den Rücken. »Ich kenne die Leiterin des Frauenhauses persönlich. Das ist wirklich eine nette Frau, die dir helfen kann. Die Eingangstür ist mehrfach gesichert. Da kommt nicht mal dieser Maksym rein.«
Das Mädchen nahm endlich die Broschüre in die Hand. In diesem Moment klingelte es in ihrer Jackentasche. Sie zog das Handy heraus, lauschte der Stimme im Hörer und legte wieder auf. »Ich will
Weitere Kostenlose Bücher