Toedliche Offenbarung
Beide sehen auf die breite Nase des etwa Gleichaltrigen, die von kräftigen Augenbrauen eingerahmt wird.
»Hier.« Sonjas Finger schnellt hervor und streift Felix’ Arm. »Bei dem einen Schneidezahn fehlt die Ecke.«
Felix zuckt bei der Berührung zusammen. »An irgendwen erinnert der mich.« Er starrt auf den Monitor. »Wenn ich nur wüsste an wen.«
»Mir sagt das Gesicht nichts. Aber vielleicht wissen die anderen ja mehr. Wir bringen die Fotos mit den Fahnen ins Netz, dann werden wir ja sehen.« Sonja gießt Felix Tee nach. »Außerdem mobilisieren wir damit garantiert noch mehr.«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Was ist mit facebook ?«
»Glaubst du ernsthaft, dass einer von denen zur Mahnwache kommt? Die hocken doch nur vorm Computer und chatten rum.«
»Täusch dich da nicht, Felix. Ali hat eine große Anhängerschar. Bei farmville ist er auf level 32 . Er ist der erfolgreichste farmer unserer Schule.« Sonja geht auf den Flur und ruft: »Ali, komm mal. Wir brauchen dich.«
Nichts rührt sich.
»Ali«, schreit Sonja aus Leibeskräften.
Endlich öffnet sich in der oberen Etage eine Tür. Alexander Borgfeld, genannt Ali, steckt den Kopf heraus.
»Was ist? Will Papa was von mir oder ist Mama schon zurück?«
»Papa hat Dienst und ist früh aus dem Haus – und Mama sitzt bis heute Nachmittag bei Edeka an der Kasse.«
Die Tür fällt schon vor dem Ende des Satzes krachend ins Schloss. Wie der Blitz schießt Sonja die Treppe zum Zimmer ihres Bruders hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Mit einem Ruck reißt sie die Tür auf.
»Du musst uns mit dem Internet helfen. Wir haben da so eine Idee für facebook .«
»Sag das doch gleich.«
7
Eine Stunde später sind der Parkplatz und das Caddyhaus des Isernhagener Golfclubs nicht wiederzuerkennen. Überall stehen Polizeifahrzeuge. Rotweiße Flatterbänder sperren das Gelände großflächig ab. Borgfeld, Streuwald und die Kollegen aus Hannover haben alles routiniert gesichert. Die Leute von der Kriminaltechnik sind bereits eingetroffen und packen ihre Sachen aus. Borgfeld wundert sich über den Apparat, den einer vorsichtig vor dem Bauch trägt.
»Was ist das?«
»Unsere neueste Anschaffung. Nennt sich Spheronkamera. Teures Stück, wir behandeln sie wie ein rohes Ei.«
Stolz deutet Thomas Harms auf das Gerät, das Streuwald an die Flutlichtanlage eines modernen Fußballplatzes in Miniaturform erinnert.
»Und wozu ist die gut?«
»Während der Aufnahme dreht sich die Kamera um 360°. Jedes kleine Detail wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln erfasst, ohne dass dabei eine Spur verloren geht. Am Computer bauen wir aus Tausenden von Bildern anschließend den Tatort virtuell nach.«
»Dann kann ja nichts mehr schief gehen.« Borgfeld mustert die Kamera misstrauisch. Virtueller Tatort! Die kommen auf immer neue Sachen in Hannover. Er dreht sich achselzuckend um. Sollen sie doch. Ein Anflug von Trotz macht sich in ihm breit. Er bleibt bei den alten Methoden und lässt den Platz auf sich selbst wirken, versucht ihn mit allen Sinnen zu erfassen. Manchmal spricht ein Tatort, hat ihm Hauptkommissar Max Beckmann bei der Untersuchung ihres letzten Falles erklärt, als eine Tote hinter dem Isernhagenhof gefunden wurde.
Borgfeld sieht sich um. Der Platz zwischen Schuppen, Geräteunterstand und Buschwerk wirkt freundlich, ausladende Äste werfen Schatten auf den Rasen. Vögel zwitschern, Amseln, vielleicht auch Spatzen. Borgfelds Blick wandert zur Bank. Der Tote trägt eine gepolsterte Lederjacke, Jeans und Cowboystiefel. Ziemlich warme Sachen für die heißesten Tage dieses Sommers. Eigentlich sogar ungewöhnlich warme Kleidung für dieses Wetter. Borgfeld wartet darauf, dass ihm etwas auffällt, dass er eine Schwingung wahrnimmt. Nichts. Er schließt die Augen, konzentriert sich und startet den zweiten Versuch. Wieder spricht nichts zu ihm. Vielleicht ist die Sache mit der Kamera doch gar nicht so schlecht.
Plötzlich tippt ihm jemand auf die Schulter.
»Gestatten: Goldmann, ich bin der Präsident dieses Golfclubs.«
Die näselnde Stimme lässt Borgfeld zusammenzucken. Er dreht sich um und sieht in ein fleischiges Gesicht mit grauer Haartolle.
»Kommissar Borgfeld, Polizeiinspektion Burgdorf. Wir ermitteln in einem Todesfall.«
»Todesfall? Bei uns?« Die Mundwinkel des grauhaarigen Mannes sinken herab.
»Genau. Hinter dem Schuppen liegt ein Mann. Vermutlich handelt es sich um Mord. Unser Rechtsmediziner kommt gleich, dann wissen wir
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