Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
schon völlig vergessen, dass sie einst einen seltsamen Schauer gewagter Leidenschaft empfunden hatte, als sie entdeckte, was für eine stark behaarte Brust er hatte.
»Komm schon, Süße«, sagte er ungeduldig, als sie ins Schlafzimmer zurückkam.
Marjorie hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass sie in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde – mittlerweile lag sie vor lauter Unruhe und Unrast immer schlaflos da, wenn Ted »lästig« gewesen war, und heute Nacht war es noch viel, viel schlimmer. Es musste wohl schon zwei Uhr nachts gewesensein, dachte sie, als Ted endlich verschwitzt und schwer und noch ein klein wenig lauter atmend als sonst neben ihr einschlief. Sie lag am Rande des Bettes auf dem Rücken da, das Kissen in den Nacken gedrückt und jetzt sogar zum Weinen zu müde, und war einem solchen Aufruhr der Gefühle ausgesetzt, dass sie nicht einmal mehr Kummer empfinden konnte. Sie war sich nur noch einer schwarzen, schlaflosen Depression bewusst, die einem sehr viel tieferen Unglück entsprang, als sie es je gekannt hatte.
2
Am hinteren Ende des Gartens der kleinen Doppelhaushälfte liefen die Gleise einer elektrischen Vorortbahn entlang, und während des Bahnbetriebs erzitterte das Haus alle zehn Minuten leicht von den vorbeifahrenden Zügen, die in beiden Richtungen jeweils im Zwanzig-Minuten-Takt verkehrten. Doch der letzte Zug des Tages fuhr nachts um Viertel nach eins, und so war das Haus anfangs, während Marjorie schlaflos dalag, umfangen von der gespannten Stille der nächtlichen Vorstadt. Es war mitten im Sommer, und das Zimmer wurde nie vollständig dunkel. Die beiden fahlen Quadrate der Fenster blieben immer zu erkennen, und später bemerkte Marjorie, wie sie langsam heller wurden. Und dann waren auch schon die Spatzen und Stare zu hören, die anfingen zu zwitschern, und bald darauf, wenn auch in einiger Entfernung, das Hufgetrappel eines Pferdes. Das war ein Milchfuhrwerk, das eben dabei war, seine Runde zu beginnen – seit immer mehr Milchfuhrwerke mit Automobilreifen ausgestattet wurden, konnte man nur noch das Pferd hören und nicht mehr das Fuhrwerk selbst. Und während das Pferd noch in Hörweite war, vernahm sie ein entferntes rhythmisches Rattern.
Das war ein elektrischer Zug, der die abschüssigen Gleise hinter dem Haus entlangkam – für das geübte Ohr klangen die Züge aufgrund der Steigung recht unterschiedlich, je nachdem, ob sie hinauf- oder hinunterfuhren. Wenn der Zughinunterfuhr, war es entweder zehn, dreißig oder fünfzig Minuten nach der vollen Stunde; und wenn er hinauffuhr, war die Stunde voll oder aber um zwanzig oder vierzig Minuten überschritten. Dies war der erste Zug hinauf, und deshalb war es zwanzig Minuten vor sechs. Das Rattern schwoll zu einem milden Crescendo an, das Haus erzitterte leicht, als der Zug vorbeifuhr, und dann verlor sich das Geräusch mit zunehmender Entfernung immer mehr, bis es schließlich mit einem Quietschen von Bremsen ganz abbrach, wenn der Zug am weiter weg liegenden Bahnhof anhielt. Nur wenn alles recht still war, konnte man dieses letzte Geräusch im Harrison Way noch vernehmen; und an diesem Morgen war es so still, dass Marjorie sogar die Türen der Abteile schlagen hörte und auch das knirschende Geräusch des Zuges, als er wieder anfuhr.
Als alles wieder still war, bewegte sich Ted plötzlich neben ihr. Er grunzte und strampelte mit den Beinen, genau wie der kleine Derrick in seinem Kinderbett strampelte, wenn er noch nicht ganz eingeschlafen war, und dann grunzte er noch einmal und drehte sich auf die andere Seite, zu ihr herum. Das war etwas verwunderlich, denn gewöhnlich schlief Ted wie ein Holzklotz, besonders in einer Nacht, in der er lästig gewesen war. Verstohlen und übervorsichtig, um ihn nur ja nicht zu stören, zog sie den Saum ihres Nachthemds herunter, bis er ihr bis über die Füße reichte. Vielleicht hatte diese Bewegung ihn doch gestört, obwohl Marjorie das eigentlich nicht glaubte. Doch wie auch immer, Ted grunzte noch einmal, wachte mit einem Ruck auf und drehte sich auf den Rücken. Mit dem typischen Husten des Rauchers räusperte er sich, wie immer beim Aufwachen, während Marjorie so tat, als würde sie schlafen.
Noch ungewöhnlicher als sonst war, dass er leise vor sich hin murmelte, und dann hielt er plötzlich inne. Vorsichtigstreckte er eine Hand aus und legte sie auf ihren Körper, doch Marjorie lag ganz still da und tat weiter, als würde sie schlafen; sie war so unglücklich und wollte
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