Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
darauf achten, dass Anne sich auch hinter den Ohren wusch, und heißes Wasser für Ted bereithalten, damit er sich rasieren konnte. Es war stets eine fordernde, wenn nicht gar sehr anstrengende Dreiviertelstunde, bis Marjorie sie alle wohlbehalten und mit ihrem Essen vor sich schließlich am Tisch in der Küche sitzen hatte.
Es war ein gewisser Trost, dass keines der beiden Kinder Fragen über Tante Dot stellte – sie hatten über den ganzen Lärm der Nacht hinweggeschlafen und gingen davon aus, dass Dot, wie schon so oft, nach Hause gegangen war, nachdem sie beide im Bett gelegen und ihre zurückkehrenden Eltern die Tante abgelöst hatten. Und dennoch, selbst inmitten all der morgendlichen Hektik überfiel Marjorie auf einmal der grauenvolle Gedanke, dass sie den Kindern in genau dem Raum Frühstück machte, in dem Dot sich kaum zwölf Stunden zuvor umgebracht hatte, ein Frühstück, das noch dazu auf jenem Herd zubereitet wurde, mit dem Dot sichumgebracht hatte. Derricks Milch kochte ihr über bei diesem Gedanken, die Gasflamme unter dem Kochtopf erlosch, und Marjorie konnte den Gashahn gar nicht so schnell abdrehen, dass sie nicht noch einen Hauch von Gas einatmete. Ihr wurde übel und ganz flau, sodass sie plötzlich auf einen Stuhl sackte, als Ted mit seinen Schuhen in der Hand hereinkam.
Er war ebenfalls bleich. Sie beide mussten aussehen wie ein Geisterpaar, dachte Marjorie und war nur froh, dass es den Kindern nicht auffiel.
»Ich sollte besser erst mal ins Büro gehen, bis sie mich brauchen«, sagte Ted.
»Ja«, erwiderte Marjorie.
»Wer braucht dich, Daddy?«, fragte Anne – ihr ganzes Leben lang war ihr eingetrichtert worden, dass nichts auf der Welt so wichtig war wie die pünktliche Ankunft ihres Daddys im Büro. Ted ignorierte die Frage.
»Und was ist mit Anne, soll sie zur Schule gehen?«, fragte Ted.
»Oh, natürlich, unbedingt«, sagte Marjorie. Sie konnte die Vorstellung, dass Anne ihr den ganzen Vormittag über hinterhertraben würde, nicht ertragen.
»Was ist denn, Daddy?«, fragte Anne. »Warum soll ich nicht in die Schule gehen? Daddy! Mummy! Was ist passiert?«
»Sei still, Anne!«, schnauzte Marjorie sie an – und Marjorie neigte gewöhnlich dazu, gerade mit Anne besonders behutsam umzugehen, seit sie erkannt hatte, dass Derrick ihr Lieblingskind war. Beschämt und mit zittrigen Lippen saß Anne da. Weil ihre geliebte Mutter sie nur höchst selten einmal derart barsch anfuhr, brachte dieses Ereignis sie gleich an den Rand der Tränen. Sie wollte eben zu weinen anfangen, als ein hartes Tat-tat-tat an der Seitentür sie ablenkte. Grannie kam durch die Seitentür herein, und Anne konntesich nicht entsinnen, dass Grannie schon jemals zur Frühstückszeit gekommen war. Marjorie stieß bei ihrem Anblick einen freudigen Schrei aus.
»Komm, trink eine Tasse Tee, Mutter«, sagte sie und stand automatisch auf, um ihr einen Platz herzurichten.
»Danke, Liebes«, erwiderte Mrs Clair. Sie war noch immer dieselbe gepflegte, stille und tüchtige kleine Frau, die sie stets gewesen war, und sie sprach auch noch immer mit derselben sanften Stimme. Marjorie empfand es als große Erleichterung, dass sie da war.
»Guten Morgen, Ted«, sagte Mrs Clair.
»Morgen, Mutter«, erwiderte Ted. Er sah sie nicht an.
»Ist noch nichts passiert?«, fragte Mrs Clair.
»Nein«, sagte Marjorie.
»Was soll denn passieren?«, fragte Anne.
»Halt deine Klappe«, knurrte Ted, und die beiden Frauen tauschten einen Blick, den Ted nicht sah, weil er den Blick zu Boden gerichtet hatte.
Ted schob seinen Stuhl zurück.
»Nun, ich geh dann jetzt«, sagte er. »Ruf mich im Büro an, wenn du mich brauchst.«
Er sah ihnen immer noch nicht in die Augen, als er ging.
»Für was brauchst du Daddy, Mummy?«, fragte Anne. Sie erinnerte sich noch gut an einen Vorfall vor zwei Jahren, als Daddy ihrer Mummy eine Standpauke gehalten hatte, weil sie es gewagt hatte, ihn im Büro anzurufen.
»Ich glaube nicht, dass Mummy ihn überhaupt brauchen wird«, warf Mrs Clair ein. »Und dein hübscher Rock gefällt mir jedes Mal, wenn ich ihn sehe, besser.«
Das reichte völlig aus, um Anne zufriedenzustellen. Sie setzte ihren Hut auf und ließ sich zur Schule schicken, ohne noch eine weitere Frage zu stellen.
Erst jetzt konnten die beiden Frauen sich mit einer frisch gebrühten Tasse Tee hinsetzen und, taub gegen Derricks Geplapper, über die Ereignisse des letzten Abends reden.
»Ted ist wirklich betrübt, Mutter«, sagte
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