Tödliche Recherche
Informationen hatte sich Küpper auf seinem eigenen, kurzen Dienstweg aus dem Dürener Standesamt verschafft.
Und ich kenne ihn doch, ging es ihm durch den Kopf, während ihn Wenzel im weißen Dienst-Opel über die Veldener Straße und die Neue-Jülicher-Straße nach Birkesdorf chauffierte.
Auf der Zollhausstraße, der Hauptzufahrtsstraße von und nach Düren in dem nördlichen Stadtteil, herrschte wie immer Parkplatznot. Kurz entschlossen fuhr Wenzel hinter dem Haus, in dem Schramm wohnte, in eine Toreinfahrt und parkte auf einem Hinterhof, auf dem ein Kfz-Mechaniker eine Reparaturwerkstatt betrieb.
Das Haus Nummer einundsiebzig war ein schmaler, zweigeschossiger, roter Backsteinbau aus den Anfangsjahren des Jahrhunderts in einer Reihe ähnlich alter Häuser. Das Erdgeschoß bestand aus einer Eingangstür und einem Wohnzimmerfenster.
Zwei Parteien wohnten in dem Haus, registrierte Küpper, als er die drei Stufen zum Eingang hochgestiegen war und auf den Klingelknopf drückte, der zum Namensschildchen Schramm gehörte.
Den oft vorwitzigen und taktlosen Wenzel hatte er wohlwissentlich im Wagen sitzen gelassen.
Küpper war überrascht, als sofort der Türöffner summte und die Haustür aufsprang.
„Hallo, bist du’s, Konrad?“, hörte der Kommissar eine besorgte Frauenstimme aus dem Obergeschoß rufen.
Küpper schwieg und stiefelte langsam die Holztreppe zur ersten Etage hoch. Er blickte in die erschrockenen Augen einer jungen, schwangeren Frau.
Auch das noch!, dachte sich der Bernhardiner. „Was ist? Wer sind Sie?“
Küpper sah der zierlichen, hübschen Frau sofort an, daß sie Schreckliches ahnte. Er antwortete nicht sofort, sondern bat sie höflich, ihn in die Wohnung zu lassen. Dort stellte er sich kurz vor, um dann sogleich mit der Wahrheit herauszurücken.
„Ihr Mann ist tot, Frau Schramm. Ich bin gekommen, um Ihnen unsere Anteilnahme auszusprechen.“
Die Frau starrte ihm zunächst sprachlos an, schluckte dann schwer und fragte schließlich gefaßt und konzentriert: „Was ist passiert?“ Küpper war nicht erstaunt über diese Reaktion.
Thea Schramm hatte dem Kommissar in der kleinen Küche einen Platz angeboten und nahm mühevoll auf einem Hocker Platz. Beim Blick durch Flur und Küche hatte Küpper zugleich erkannt, daß die Wohnung zwar sauber und mit viel Liebe gepflegt wurde, aber nur mit preiswerten und unbedingt erforderlichen Möbeln ausgestattet war. Die junge Familie war wohl nicht auf finanziellen Rosen gebettet, schloß er aus seiner Beobachtung.
Der Bernhardiner schilderte kurz und knapp den Sachverhalt, so wie er sich ihm derzeit darbot, und das schnelle Ergebnis der medizinischen Untersuchung.
Die junge Frau schüttelte verständnislos den Kopf. „Das kann nicht sein. Ich kann’s nicht glauben. Konrad hat doch fast nie was getrunken.“
Sie stierte aus nassen, braunen Augen den Kommissar an, als könne sie durch ausführliche Erklärungen das Geschehene rückgängig machen.
Küpper ließ die Frau reden. In solchen Situationen erfuhr er oft mehr als später, wenn die Trauer die Angehörigen übermannt und ihren Verstand getrübt hatte. Er erlebte es immer wieder, daß Angehörige die Todesnachricht zunächst ziemlich gefaßt und besonnen aufnahmen, bevor sie dann urplötzlich in eine unendliche Trauer verfielen und nicht mehr ansprechbar waren. „Gestern war er doch mit dem Auto zur Feier gefahren“, fuhr die Frau fort, „dann trinkt Konrad doch nur Wasser.“
Küpper hob fragend die Augenbrauen, während er der Witwe betrübt ins Gesicht schaute. Hoffentlich bleibst du sachlich, bat er innerlich. Jede Information, die sie ihm jetzt gab, konnte ihm helfen, würde wahrscheinlich eine Bestätigung für den Unfalltod geben. Sie mußte ihm alle Informationen geben, die sie hatte, bevor sie von der Realität vereinnahmt wurde.
Der Kommissar bat die junge Frau, ihm vom letzten Tag, vom letzten Abend zu berichten.
Das gehörte zwar nicht mehr zu seiner Aufgabe als Ermittler, zumal es überhaupt kein Verfahren gab. Aber er betrachtete das Gespräch mit den Hinterbliebenen auch als Teil seiner Tätigkeit als Übermittler tragischer Botschaften.
Schramm war am Montagmorgen in die Redaktion des Dürener Tageblatts gefahren. Beim DTB, der dritten journalistischen Kraft an der Rur neben der Dürener Zeitung und den Dürener Nachrichten, arbeitete er seit mehr als einem Jahr als freier Mitarbeiter, so schilderte seine Frau. Er wollte sich für ein Volontariat, eine Ausbildung zum
Weitere Kostenlose Bücher