Tödliche Recherche
sagte er sich. Er griff zum Telefonhörer und wählte Schramms Nummer. Doch es meldete sich niemand. Bahn erinnerte sich an Schramms Zweitnummer, der Rufnummer von Thea Schramms Eltern, und rief dort an.
„Ach du bist’s, Helmut“, meldete sich tatsächlich die junge Frau. Sie schien gefaßt und fragte ihn, was er wolle. „Ich weiß es selbst nicht genau“, bekannte Bahn freimütig. Er wolle nur mit ihr reden. „Aber vielleicht kannst du mir ja weiterhelfen. Kannst du mir sagen, was Konrad in den letzten Tagen alles gemacht hat?“
Thea stöhnte leise auf: „Konrad war doch mehr mit euch unterwegs als bei mir. Am Sonntag wart ihr doch rund um die Uhr mit der Wahl beschäftigt. Am Montag war Konrad bis aufs Mittagessen in der Redaktion und abends bei Laufenberg. Aber das weißt du doch alles schon.“
„Hat er denn nicht irgend etwas gesagt, etwas Ungewöhnliches bemerkt oder so?“ Bahn stocherte ohne Ziel und Orientierungspunkt umher. Er hatte den Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt und malte mit einem Kugelschreiber Kreise auf die Papierunterlage.
„Nicht, daß ich wüßte“, antwortete ihm Thea nach kurzer Überlegung. „Konrad war nur etwas aufgekratzt nach dem ganzen Trubel. Die Arbeit und die Feier am Sonntag und der Streß am Montagmorgen waren doch anstrengend gewesen.“ Sie stockte kurz. „Und dann hat er wohl noch mit Taschen gesprochen. Weißt du das etwa nicht?“
Bahn gab sich überrascht: „Wieso?“
„Ich weiß es auch nicht so genau“, sagte Thea nachdenklich, „es hatte wohl etwas mit dem Volontariat zu tun, das Konrad bei der Zeitung machen sollte.“
Die lange Unterredung zwischen Taschen und Schramm am Montag kurz vor Mittag hatte Bahn schon mitbekommen. Allerdings wußte er nichts über den Inhalt. Er erinnerte sich nur, daß Schramm nach dem Gespräch pfeifend ins gemeinsame Zimmer zurückgekommen war.
Schramm hatte sich wie immer bedeckt gehalten. Nur sein Pfeifen deutete an, daß etwas nicht in Ordnung war. Schramm pfiff immer „So Far Away“ von den Dire Straits, wenn etwas nicht stimmte oder er endgültige Entscheidungen treffen mußte.
Schramm hatte offensichtlich nicht nur ihn, sondern auch seine Frau nicht ausführlich über das Gespräch informiert, befand Bahn.
Er ließ noch einmal die letzten Arbeitstage mit Schramm Revue passieren. Es waren in der Tat hektische Tage gewesen. Nicht zuletzt durch die Aufdeckung von Machenschaften des CDU-Spitzenkandidaten Breuer in der letzten Woche vor dem Urnengang war es noch einmal turbulent geworden. Bahn schloß wie andere Beobachter nicht aus, daß die Berichterstattung von Schramm über das wirtschaftliche Gebaren von Breuer bei der Wahl ausschlaggebend gewesen war, zumal auch die anderen Blätter nachgezogen hatten und ebenfalls Breuer demontierten. Aber Schramm war halt derjenige gewesen, der den Stein ins Rollen gebracht hatte.
Nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr am Sonntag war die komplette Redaktion auf die Jagd nach den Ergebnissen aus den zehn Kommunalparlamenten des Verbreitungsgebietes und dem Dürener Kreistag gegangen, hatte bis zweiundzwanzig Uhr ununterbrochen geochst und schließlich alle Zahlen von Nideggen bis Merzenich und von Langerwehe bis Heimbach zusammengetragen, bevor die Rotationsmaschinen in der Kölner Tageblatt-Zentrale in Gang geworfen wurden.
Herausragend war bei der Kommunalwahl sicherlich der politische Umsturz in der Stadt Düren gewesen, wo nach jahrzehntelanger Vorherrschaft die Mehrheit im Stadtrat sensationell gewechselt hatte. Zum ersten Mal nach dem Krieg hatte die SPD der CDU den Rang abgelaufen. Die Bahn war frei für den neuen Bürgermeister Walter Walter, den charismatischen Genossen, der mit seinem Engagement die Partei aus der Lethargie geweckt und mitgerissen hatte.
Die SPD feierte ausgelassen ihren historischen Sieg. Breuer und die CDU leckten hingegen ihre Wunden und machten Schramm wegen seiner Berichterstattung für die Niederlage verantwortlich. Man drohte ihm noch am Wahlabend wütend Konsequenzen an.
Nach Redaktionsschluß war schließlich die DTB-Mannschaft komplett in die Stadthalle gegangen, wohin der neue starke Mann im Rathaus nach seinem Überraschungssieg zu einer spontanen Siegesfeier eingeladen hatte.
Schramm war den ganzen Abend über ausgesprochen konzentriert und schweigsam gewesen. Bei der Siegesfeier der Sozialdemokraten wirkte er äußerst angespannt und nachdenklich, während er abseits stehend die feiernde Gesellschaft
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