Toedliche Spiele
sind unsicher, was sie dazu sagen sollen, dass die Zuschauer nicht applaudieren wollen. Der stille Gruß. Einer sagt, Distrikt 12 sei immer schon ein wenig rückständig gewesen, wobei lokale Bräuche durchaus auch ihren Charme haben könnten. Wie bestellt fällt Haymitch von der Bühne, woraufhin sie übertrieben stöhnen. Peetas Name wird gezogen und er nimmt schweigend seinen Platz ein. Wir reichen uns die Hände. Schnitt auf die Hymne und die Aufzeichnung ist zu Ende.
Effie Trinket ärgert sich über den Zustand ihrer Perücke.
»Euer Mentor muss noch viel über Moderation lernen. Und darüber, wie man sich im Fernsehen benimmt.«
Da lacht Peeta plötzlich auf. »Er war betrunken«, sagt er. »Er ist jedes Jahr betrunken.«
»Jeden Tag«, füge ich hinzu. Ich kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Bei Effie Trinket klingt es so, als hätte Haymitch nur ein bisschen raue Manieren, die sich mit ein paar guten Tipps korrigieren ließen.
»Ja«, faucht Effie Trinket. »Merkwürdig, dass ihr beide das amüsant findet. Vergesst nicht, dass euer Mentor bei diesen Spielen eure Rettungsleine zur Welt ist. Er ist derjenige, der euch berät, eure Sponsoren organisiert und bestimmt, wann ihr eure Geschenke erhaltet. Haymitch kann für euch den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten!«
Genau in diesem Moment kommt Haymitch ins Abteil getorkelt. »Hab ich das Abendessen verpasst?«, lallt er. Dann erbricht er sich auf den kostbaren Teppich und fällt mitten in die Sauerei.
»Lacht ihr nur!«, sagt Effie Trinket. In ihren spitzen Schuhen hüpft sie um den See aus Erbrochenem herum und flüchtet aus dem Waggon.
4
Ein paar Sekunden lang sehen Peeta und ich dabei zu, wie unser Mentor versucht, sich aus dem ekelhaften Schleim zu erheben, der aus seinem Bauch gekommen ist. Von dem Gestank nach Erbrochenem und reinem Alkohol kommt mir fast das Abendessen hoch. Wir tauschen einen Blick. Von Haymitch ist wirklich nicht viel zu erwarten, aber in einem hat Effie Trinket recht: Wenn wir erst mal in der Arena sind, ist er alles, was wir haben. Wie auf ein Zeichen nehmen Peeta und ich Haymitch bei den Armen und helfen ihm auf die Füße.
»Bin ich gestolpert?«, fragt Haymitch. »Das riecht aber übel.« Er wischt sich mit der Hand über die Nase und beschmiert dabei sein Gesicht mit Erbrochenem.
»Wir bringen Sie in Ihr Abteil«, sagt Peeta. »Ein bisschen sauber machen.«
Halb geleiten, halb tragen wir Haymitch in sein Abteil zurück. Da wir ihn schlecht auf der bestickten Bettdecke absetzen können, hieven wir ihn in die Badewanne und stellen die Dusche an. Er merkt es kaum.
»Ist gut«, sagt Peeta zu mir. »Den Rest übernehme ich.« Unwillkürlich bin ich ein bisschen dankbar, denn ich habe nicht die geringste Lust, Haymitch auszuziehen, das Erbrochene aus seinem Brusthaar zu waschen und ihn ins Bett zu verfrachten. Vielleicht versucht Peeta einen guten Eindruck zu machen, damit er bei den Spielen Haymitchs Favorit ist. Aber so, wie es Haymitch jetzt geht, wird er sich morgen an gar nichts mehr erinnern können.
»In Ordnung«, sage ich. »Ich kann einem von den Kapitolleuten Bescheid sagen, damit er euch hilft.« Im Zug gibt es jede Menge davon. Sie kochen für uns. Sie bedienen uns. Sie bewachen uns. Es ist ihre Aufgabe, sich um uns zu kümmern.
»Nein. Ich will keinen von denen«, sagt Peeta.
Ich nicke und gehe in mein Abteil. Ich kann verstehen, wie Peeta fühlt. Ich kann den Anblick der Kapitolleute auch nicht ertragen. Aber wir könnten uns ein bisschen rächen, wenn wir ihnen Haymitch aufs Auge drücken würden. Deshalb grübele ich darüber nach, weshalb Peeta darauf besteht, sich persönlich um Haymitch zu kümmern, und plötzlich denke ich:
Weil er ein guter Mensch ist. Genau wie damals, als er mir das Brot geschenkt hat.
Der Gedanke lässt mich erstarren. Ein guter Peeta Mellark ist für mich sehr viel gefährlicher als ein böser. Gute Menschen haben es an sich, dass sie sich bei mir einschleichen und einnisten. Das darf ich bei Peeta nicht zulassen. Nicht angesichts dessen, was uns bevorsteht. Ich beschließe, dem Bäckersohn ab sofort möglichst aus dem Weg zu gehen.
Als ich zurück in mein Abteil komme, legt der Zug einen Tankstopp ein. Schnell öffne ich das Fenster, werfe die Plätzchen, die Peetas Vater mir geschenkt hat, hinaus und knalle das Fenster zu. Schluss damit. Schluss mit den beiden.
Zu meinem Unglück zerplatzt die Schachtel mit den Plätzchen mitten in einer
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