Toedliche Spiele
Katniss?«, fragt sie. »Versprichst du's mir?«
»Ja«, sage ich. Plätzchen. Eine Brosche. Was für Geschenke ich heute bekomme. Und da kommt schon das nächste. Madge drückt mir einen Kuss auf die Wange. Dann ist sie fort und ich sitze da und denke, dass Madge vielleicht die ganze Zeit über wirklich meine Freundin war.
Zu guter Letzt kommt auch Gale, und selbst wenn es keine romantischen Gefühle zwischen uns gibt, zögere ich doch nicht, ihm in die geöffneten Arme zu fallen. Sein Körper ist mir vertraut - die Art, wie er sich bewegt, der Geruch nach Holzrauch, sogar sein Herzklopfen kenne ich von den stillen Momenten einer Jagd -, aber es ist das erste Mal, dass ich ihn richtig spüre, schlank und muskulös.
»Hör zu«, sagt er. »An ein Messer zu kommen dürfte kein Problem sein, und wenn es irgend geht, musst du dir einen Bogen besorgen. Das ist deine größte Chance.«
»Bogen gibt es aber nicht immer«, sage ich und muss an das Jahr denken, als es nur schreckliche Streitkeulen mit Stacheln gab, mit denen die Tribute aufeinander eindreschen mussten, bis zum Tod.
»Dann mach dir einen«, sagt Gale. »Ein schwacher Bogen ist immer noch besser als keiner.«
Ich habe versucht, die Bogen meines Vaters nachzubauen, mit wenig Erfolg. Es ist nicht so einfach. Sogar ihm ist manchmal ein Bogen misslungen und er musste ihn wegwerfen.
»Ich weiß nicht mal, ob es da Holz gibt«, sage ich. In einem Jahr haben sie die Tribute in einer Landschaft ausgesetzt, in der es nur Geröll und Sand und Gestrüpp gab. Das fand ich besonders schrecklich. Viele der Kämpfer wurden von Giftschlangen gebissen oder vor Durst wahnsinnig.
»Holz gibt es fast immer«, sagt Gale. »Seit dem Jahr, in dem die Hälfte erfroren ist. Das war nämlich nicht unterhaltsam genug.«
Das stimmt. Einmal mussten wir den Spielern der Hungerspiele dabei zusehen, wie sie nachts reihenweise erfroren. Man konnte sie kaum sehen, denn sie hatten sich wie Bälle zusammengerollt und nirgendwo gab es Holz für Feuer, Fackeln oder Ähnliches. All diese stillen, unblutigen Tode wurden im Kapitol als wenig spannungsreich empfunden und seitdem hat es für gewöhnlich Holz gegeben, um Feuer zu machen.
»Ja, normalerweise gibt es welches«, sage ich.
»Es ist eine Jagd, Katniss. Und du bist die beste Jägerin, die ich kenne«, sagt Gale.
»Es ist keine Jagd. Die anderen sind bewaffnet. Sie können denken«, sage ich.
»Wie du. Aber du hast mehr Übung. Echte Übung«, sagt er. »Du weißt, wie man tötet.«
»Aber nicht Menschen«, sage ich.
»Was soll daran groß anders sein?«, sagt Gale grimmig.
Das Schlimme ist, dass es überhaupt nicht anders sein wird. Ich muss nur vergessen, dass es Menschen sind.
Allzu bald kommen die Friedenswächter zurück. Gale bittet um mehr Zeit, aber sie führen ihn fort und ich werde panisch. »Lass sie nicht verhungern!«, schreie ich und umklammere seine Hand.
»Ich verspreche es! Du weißt, ich werde sie nicht vergessen, Katniss, denk dran, ich ...«, sagt er, aber sie reißen uns auseinander und schlagen die Tür zu und ich werde nie erfahren, woran ich denken soll.
Es ist eine kurze Fahrt vom Gerichtsgebäude zum Bahnhof. Ich habe noch nie in einem Auto gesessen. Und bin nur ganz selten in einem Wagen gefahren. Im Saum bewegt man sich zu Fuß fort.
Gut, dass ich nicht geweint habe. Im Bahnhof wimmelt es von Reportern mit ihren insektenartigen Kameras, die direkt auf mein Gesicht gerichtet sind. Aber ich habe genug Übung darin, alle Gefühle aus meinem Gesicht zu verbannen, und das tue ich auch jetzt. Ich betrachte mich in dem Fernseher an der Wand, der meine Ankunft live überträgt, und stelle befriedigt fest, dass ich fast gelangweilt aussehe.
Peeta Mellark dagegen hat offenbar geweint und versucht interessanterweise nicht, es zu verbergen. Ich frage mich sofort, ob dies seine Strategie in den Spielen sein wird. Schwach und ängstlich wirken, die anderen Tribute davon überzeugen, dass man keinerlei Konkurrenz darstellt, und sich dann als Kämpfer outen. Das hat vor sieben Jahren bei Johanna Mason gut funktioniert, einem Mädchen aus Distrikt 7. Sie spielte die Rolle der vertrottelten Memme so gut, dass niemand sie beachtete, bis nur noch eine Handvoll Kämpfer übrig war. Und dann zeigte sich, dass sie brutal töten konnte. Ganz schön clever, wie sie das anstellte. Für Peeta Mellark erscheint mir das allerdings nicht als geeignete Strategie, denn er ist der Sohn eines Bäckers. Die vielen Jahre, in denen
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