Toedliche Spiele
Ansammlung von Löwenzahn an den Gleisen. Nur ganz kurz sehe ich das Bild, denn der Zug setzt sich wieder in Bewegung, aber das genügt. Es genügt, um mich an den anderen Löwenzahn vor vielen Jahren auf dem Schulhof zu erinnern ...
Ich hatte den Blick gerade von Peeta Mellarks zerschundenem Gesicht gewandt, als ich den Löwenzahn sah und plötzlich wusste, dass noch nicht alle Hoffnung verloren war. Vorsichtig pflückte ich ihn und lief nach Hause. Ich schnappte mir einen Eimer, nahm Prim bei der Hand und lief mit ihr zur Weide, wo es von dem gelbköpfigen Kraut nur so wimmelte. Nachdem wir es dort geerntet hatten, folgten wir dem Zaun noch über einen Kilometer, bis wir den Eimer mit Blättern, Stängeln und Blüten vom Löwenzahn gefüllt hatten. An diesem Abend stopften wir uns mit Löwenzahnsalat und dem Rest des Bäckerbrots voll.
»Was noch?«, fragte Prim. »Können wir noch etwas finden, das man essen kann?«
»Alles Mögliche«, versprach ich ihr. »Ich muss mich nur daran erinnern.«
Meine Mutter hatte aus der Apotheke ihrer Eltern ein altes Buch mitgebracht, mit Tintenzeichnungen von Pflanzen auf Pergamentseiten. In akkurater Handschrift wurden daneben die Namen, Fundstellen, Blütezeiten und medizinischen Verwendungsmöglichkeiten jeder einzelnen Pflanze angegeben. Mein Vater hatte eigene Anmerkungen hinzugefügt. Pflanzen zum Essen, nicht zum Heilen. Löwenzahn, Kermesbeeren, wilde Zwiebeln, Kiefern. Den Rest der Nacht grübelten Prim und ich über dem Buch.
Am nächsten Tag gingen wir nicht in die Schule. Eine Zeit lang beschränkten wir uns auf die Weide, aber schließlich nahm ich meinen Mut zusammen und kroch unter dem Zaun hindurch.
Es war das erste Mal, dass ich allein dort war, ohne dass die Waffen meines Vaters mich beschützten. Doch in einem hohlen Baum fand ich den kleinen Bogen und die Pfeile, die er für mich gemacht hatte. An diesem Tag habe ich mich wahrscheinlich kaum zwanzig Meter in den Wald hineingewagt. Die meiste Zeit saß ich hoch oben im Geäst einer alten Eiche und hoffte darauf, dass Wild vorbeikam. Nach mehreren Stunden hatte ich großes Glück und erwischte ein Kaninchen. Ich hatte schon einige Kaninchen geschossen, früher, unter Anleitung meines Vaters. Aber dieses hier hatte ich ganz allein erlegt.
Seit Monaten hatten wir kein Fleisch mehr gegessen. Der Anblick des Kaninchens schien in meiner Mutter etwas wachzurütteln. Sie raffte sich auf, zog dem Tier das Fell ab und bereitete aus dem Fleisch und Kräutern, die Prim gesammelt hatte, einen Eintopf. Dann wirkte sie verwirrt und ging zu Bett, aber als der Eintopf fertig war, nötigten wir sie, eine Schale davon zu essen.
Der Wald wurde unser Retter und jeden Tag ging ich ein wenig tiefer hinein. Anfangs war es mühsam, aber ich war entschlossen, uns zu ernähren. Ich stahl Eier aus Nestern, fing Fische in Netzen, konnte manchmal ein Eichhörnchen oder ein Kaninchen für den Eintopf schießen und sammelte die verschiedenen Pflanzen, die zu meinen Füßen aus dem Boden kamen. Mit Pflanzen ist das so eine Sache. Viele sind essbar, aber ein Bissen von der falschen Pflanze und man ist tot. Immer wieder verglich ich die Pflanzen, die ich erntete, mit den Abbildungen meines Vaters. Ich sorgte dafür, dass wir überlebten.
Anfangs floh ich beim leisesten Anzeichen von Gefahr, einem fernen Geheul, dem unerklärlichen Knacken eines Asts, zurück zum Zaun. Irgendwann wagte ich es, auf Bäume zu klettern, um den wilden Hunden zu entkommen; dann wurde es ihnen schnell langweilig und sie trabten weiter. Tiefer im Waldesinnern lebten Bären und Raubkatzen, die den rußigen Gestank unseres Distrikts vielleicht nicht mochten.
Am 8. Mai jenes Jahres ging ich ins Gerichtsgebäude, trug mich für meine Tesserasteine ein und zog meine erste Ladung Getreide und Öl in Prims Bollerwagen nach Hause. An jedem Achten eines Monats durfte ich wiederkommen. Natürlich konnte ich deshalb nicht aufhören, zu jagen und zu sammeln. Das Getreide reichte nicht zum Überleben und wir mussten ja auch noch andere Sachen kaufen, Seife und Milch und Garn. Was wir nicht auf andere Weise beschaffen konnten, tauschte ich auf dem Hob ein. Es war beängstigend, diesen Ort ohne meinen Vater an meiner Seite zu betreten, aber die Leute hatten ihn respektiert, also respektierten sie auch mich. Wild war Wild, egal, wer es geschossen hatte. Ich verkaufte auch an den Hintertüren der wohlhabenderen Kunden in der Stadt, wobei ich versuchte, mich daran zu erinnern,
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