Tödliche Täuschung
sehr behaglich in Gabriels Hemd und Hose. Ein stiller Triumph erfüllte ihn. Er kannte die Wahrheit! Und Keelin Melville hatte sich nicht das Leben genommen. Sie war nicht aus Verzweiflung in den Tod gegangen. Es war nicht einmal sein oder Rathbones Versagen, das zur Tragödie geführt hatte.
»Ist sie schon begraben?«, fragte Hester. »Vielleicht haben sie ihre Hände nicht gewaschen… unter den Fingernägeln…«
»Doch«, antwortete er, bevor sie ihren Satz beenden konnte.
»Sie liegt bereits unter der Erde.« Die Worte schmerzten. »Als Selbstmörderin hat man sie… in ungeweihtem Boden beigesetzt. Nicht einmal Wolff durfte dabei sein.«
»Das wird Gott nicht interessieren!«, sagte sie mit Überzeugung. »Aber wenn wir uns ihre Hände nicht ansehen können… was ist mit dem Anzug, den sie getragen hat? Glauben Sie, dass wir den untersuchen könnten? Oder haben sie sie damit begraben?« Es lag eine gewisse Resignation in ihrer Stimme, als ahne sie bereits die Antwort.
»Ich weiß es nicht, aber ich vermute es. Warum hätten sie sich die Mühe machen sollen, sie umzuziehen? Und Delphine hat das Päckchen, in dem der Schmuck lag, wieder mitgenommen. So vorsichtig war sie natürlich.«
»Was ist mit dem Schmuck selbst?«, fragte sie ohne große Hoffnung.
»Der würde nicht viel beweisen, außer für uns«, erwiderte er.
»Nur dass sie das Belladonna in derselben Tasche hatte… nicht , dass jemand anderer es dort hineingegeben hat. Delphine würde einfach behaupten, Melville hätte ein Päckchen Belladonna-Pulver in der Tasche gehabt, das platzte oder sich sonst irgendwie öffnete. Wir können diese Behauptung nicht widerlegen - selbst wenn wir etwas wüssten!«
»Dann glaube ich nicht, dass wir ihr den Mord nachweisen können!«, sagte Hester langsam.
»Nicht - nicht nachweisen können? Wir müssen es aber!« Er war außer sich. Das Ganze war mons trös, unerträglich! Delphine Lambert hatte zwei kleine Kinder der Willkür und Grausamkeit fremder Menschen ausgeliefert - zwei körperlich entstellte Kinder, die eine Mutter noch dringender gebraucht hätten als die meisten gesunden Kinder. Später hatte sie den visionärsten und kreativsten Architekten des Jahrhunderts ermordet, und das alles um ihres eigenen Ehrgeizes und Wohlbefindens willen - und um eine gute Partie für ihre Adoptivtochter zu machen, ob diese nun wollte oder nicht! Der äußere Schein hatte für sie alles bedeutet, Schönheit und Glanz - die reine Oberfläche. Alles, was darunter lag, Leidenschaft, Hoffnung und Schmerz, hatte sie über Bord geworfen. Er wollte sich einfach nicht damit abfinden, dass das alles geschehen konnte, ohne dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass es keine Gerechtigkeit geben würde!
»Können wir ihr etwas nachweisen?«, fragte Hester mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn. Sie hatte Keelin Melville nicht gekannt - sie war nicht einmal wie bei den meisten anderen Fällen, die ihm besonders nahe gingen, bei der Gerichtsverhandlung gewesen -, aber sie verstand diese Frau, eine Frau, die um Erfolg in einer Welt gekämpft hatte, in der die Männer die Regeln aufstellten.
»Wir müssen es beweisen!«, sagte er heftig. »Wir müssen eine Möglichkeit finden.«
»Alle Beweise sind weg«, bemerkte sie mit traurigem Blick.
»Was glauben Sie, werden sie sie wieder ausgraben?«
Er musste ehrlich sein. Es bestand nicht die geringste Chance, jedenfalls nicht nach den Erkenntnissen, die er im Augenblick hatte. Niemand würde eine solche Möglichkeit auch nur in Betracht ziehen wollen, denn für den Fall, dass er sich irrte, hätte er mit einer Verleumdungsklage zu rechnen.
»Nein.«
Sie sah auf seine leere Schale. »Möchten Sie noch etwas Suppe?«
»Nein danke! Ich möchte darüber nachdenken, wie wir beweisen können, was mit Keelin Melville geschehen ist. Ich möchte ein wenig Gerechtigkeit für diese beiden verlassenen und ungeliebten Kinder!« Er seufzte. »Und ich möchte eine Art von Rache… etwas, das die Waagschalen wieder ins Gleichgewicht bringt.«
Er suchte in Gedanken nach einer Lösung und ging noch einmal sämtliche Einzelheiten des Falls durch, alle Fragen und alle Antworten. Aber langsam machte sich seine Erschöpfung bemerkbar, und es fiel ihm immer schwerer, sich zu konzentrieren.
Die Tür wurde geöffnet, und Martha kam mit einem Tablett und frischem Tee herein. Ihre Augen leuchteten, und auf ihren Wangen lag ein sanfter Schimmer. Sie setzte das Tablett auf dem Tisch ab und
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