Tödliche Therapie
Wänden
gerissen und zerschlagen.
Sherrods Stimme fuhr erbarmungslos fort. „Die
Polizei vermutet, daß Einbrecher den jungen Dr. Tregiere überraschten. Der
Arzt war nach einem anstrengenden vierundzwanzigstündigen Bereitschaftsdienst
im Beth Israel tagsüber nach Hause gegangen, zu einer Zeit also, zu der die
meisten Wohnungen leer sind. Er wurde um sechs Uhr nachmittags von einer
Freundin, die mit ihm zum Essen verabredet war, erschlagen aufgefunden.“
Als nächstes folgte ein Werbespot für eine neue
Wurstsorte. Malcolm. Das konnte nicht wahr sein. Aber es war so real wie die
grinsende, spindeldürre Frau und ihre monströsen Kinder, die Wurst aßen. Ich
schaltete den Fernseher aus und das Radio ein. Sie brachten die gleiche
Meldung.
Mein rechtes Bein fühlte sich naß an. Ich sah
hinunter und bemerkte, daß ich das Glas mit Wein hatte fallenlassen. Es lag
zerbrochen am Boden. Lotty würde noch nichts von Malcolms Tod wissen, außer,
das Krankenhaus hatte sie angerufen. Sie hatte einen Zug typisch europäischer,
intellektueller Arroganz an sich - sie las nie Chicagoer Zeitungen und hörte
nie Chicagoer Nachrichten. Alle ihre Informationen bezog sie aus der New York Times und dem New Statesman. Ich war
darüber schon mehrmals mit ihr in Streit geraten. Schließlich lebte sie in
Chicago und nicht in New York. Mit Schrecken wurde mir bewußt, daß ich Lotty in
Gedanken wütend anschrie, aber diese Wut hatte nichts mit ihr und wenig mit der Times zu tun.
Ich mußte einfach an jemandem meine Wut auslassen.
Nach dem ersten Klingeln hob sie ab. Dr. Hatcher
von Beth Israel hatte sie wenige Minuten zuvor erreicht. Es hatte einige Zeit
gedauert, bis die Nachricht zum Krankenhaus vorgedrungen war, weil die
Freundin, die Malcolm gefunden hatte, nicht in Ärztekreisen verkehrte, sondern
Künstlerin war.
„Die Polizei will mich morgen früh sprechen. Dr.
Hatcher und ich waren zuständig für seine Ausbildung, ich denke, sie wollen von
uns wissen, wen er kannte. Aber wie hätte ihn jemand, der ihn kannte,
umbringen können? Hast du Zeit? Kannst du mich begleiten? Ich gehe nicht gern
zur Polizei, nicht einmal in diesem Fall.“
Lotty war in dem von den Nazis besetzten Wien
aufgewachsen. Irgendwie hatten es ihre Eltern 1938 geschafft, sie und ihren
Bruder zu Verwandten nach England zu schicken. Aber Männer in Uniform machten
sie nach wie vor nervös. Widerstrebend stimmte ich zu, nicht weil ich Lotty
nicht helfen wollte, sondern weil ich mich von den Alvarados und dem toten
Baby und damit auch von Malcolm fernhalten wollte.
Dann rief Carol an, der die Ermordung Tregieres
keine Ruhe ließ. „Diego, Paul und ich, wir haben gerade darüber gesprochen.
Vic, glaubst du, daß Fabiano der Mörder ist? Er war doch völlig durchgedreht.
Glaubst du, daß er Malcolm wegen Consuelo und dem Baby umgebracht hat?“
Voller Ingrimm stellte ich fest, daß mich der Fall
verfolgte. „Carol, ich glaube nicht, daß er es getan hat. Was hat ihm denn
Consuelo tatsächlich bedeutet? Oder das Baby? Er war doch am meisten für eine
Abtreibung, erinnerst du dich? Er wollte kein Kind, wollte keine Verantwortung
übernehmen. Ich glaube, er ist heilfroh, daß er aus dem Schlamassel raus ist.“
„Vic, du denkst durch und durch rational. Aber so
sehr man sich auch über den Machismo lustig macht, für manche Männer ist er die
Lebensmaxime. Er könnte sich doch gedacht haben, daß ein Ehrenmann in einem
solchen Fall entsprechend handeln müßte und es getan haben.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann mir vorstellen,
daß er daran gedacht hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er es getan
hat. Aber wenn du willst, red ich mit ihm. Hat er sich nicht mit einer dieser
Straßenbanden rumgetrieben? Frag Paul, er wird's wissen.“
Ich hörte Gesprächsfetzen im Hintergrund, dann kam
Paul ans Telefon. „Es sind die Löwen. Er ist kein richtiges Mitglied, spielt
eher den Botenjungen. Meinst du, er hat sie veranlaßt, Malcolm umzubringen?“
„Ich meine gar nichts. Morgen früh werde ich mit
der Polizei sprechen, bis dahin weiß ich nicht mehr als das, was ich in der
Glotze gesehen hab. Und das kann alles mögliche bedeuten.“
Er legte zögernd auf. Ich blickte stirnrunzelnd auf
das Telefon. Nicht wegen der Alvarados, sondern weil mich der ganze Mist
meiner Vergangenheit als Pflichtverteidigerin wieder mal einholte.
5 Revierbesuch
Ich schlief unruhig. Immer wieder erschien mir
Consuelos Baby im Traum. Es hatte heftig
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