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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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geregnet. Die Straßen im südlichen
Chicago waren überflutet, und ich konnte nur mit Mühe zum Haus meiner Eltern
gelangen. Als ich das Wohnzimmer betrat, stand in einer Ecke ein Kinderbett, in
dem ein Baby lag. Es lag ganz ruhig da, ohne sich zu bewegen, und sah mich mit
großen schwarzen Augen an. Ich wußte, daß es mein Kind war, aber es hatte
keinen Namen, und es würde nur am Leben bleiben, wenn ich ihm meinen Namen
gab.
    Um fünf Uhr früh wachte ich schweißgebadet und
fröstelnd auf. Ich lag noch eine Stunde mit brennenden Augen im Bett, ohne noch
mal einzuschlafen, stand dann auf, um an den See zu joggen. Zu mehr als einem
schleppenden Dauerlauf reichte es nicht.
    Die Sonne war vor etwa einer halben Stunde aufgegangen.
See und Himmel waren kupferrot, eine stumpfe, finstere Farbe, die zum
Weltuntergang gepaßt hätte. Die Luft war drückend, die Wasseroberfläche
spiegelglatt. Ein Angler stand auf einem Felsen, ohne mich auch nur eines
Blickes zu würdigen. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und sprang ins Wasser. Es
war eiskalt. Mir blieb erstmal die Luft weg, und dann schwamm ich sofort zurück
ans Ufer. Der Angler, der Tod durch Ertrinken zweifellos als das einzig
angemessene Schicksal derjenigen ansah, die die Fische erschrecken, ignorierte
mich weiterhin. Trotz der schwülen Luft zitterte ich, aber mein Kopf war
wenigstens klar. Als ich Lotty abholte, fühlte ich mich fit genug, um Chicagos
besten Männern gegenüberzutreten. Lotty, in einem marineblauen Seidenkostüm, das
ich noch nie an ihr gesehen hatte, wirkte elegant, wenn auch etwas brav. Auch
ich hatte mich nicht lumpen lassen und ein gelbes Kostüm und eine Seidenbluse
angezogen. Trotz unseres eleganten Aufzugs ließ man uns eine Dreiviertelstunde
warten. Ich las alle aushängenden Streckbriefe und dann die lobenden Erwähnungen.
Lotty wurde mit jeder Minute gereizter. Schließlich stolzierte sie zum
diensttuenden Sergeant und gab ihm zu verstehen, daß das Leben einiger Leute
auf Messers Schneide stünde, während sie hier müßig herumsaß.
    „Genauso ist es in jeder normalen
Frauenarztpraxis“, erklärte ich ihr, als sie wieder neben mir auf einem
Plastikstuhl saß. „Weil Frauen angeblich sehr viel Zeit haben, hat diese Zeit
keinerlei Wert, und deshalb ist es auch völlig gleichgültig, daß man im
Durchschnitt länger als eine Stunde warten muß.“
    „Du solltest zu mir kommen“, entgegnete Lotty
spitz. „Ich lasse die Leute nicht warten, so wie diese Trottel hier uns.“
    Endlich holte uns ein junger, uniformierter
Polizeibeamte. „Detective Rawlings bittet um Entschuldigung für die lange
Wartezeit, aber er mußte erst noch einen weiteren Verdächtigen vernehmen.“
    „Einen weiteren Verdächtigen? Wir sind also auch
verdächtig?“ fragte ich ihn, als wir hinter ihm die Treppen hinaufstiegen.
    „Ich habe keine Ahnung, warum Detective Rawlings
mit Ihnen sprechen möchte“, meinte er förmlich.
    Detective Rawlings begrüßte uns an der Tür zu einem
kleinen Vernehmungszimmer. Er war ein kräftiger Schwarzer, ungefähr in meinem
Alter. Das Gebäude war nicht klimatisiert, deshalb hatte er die Krawatte
gelockert und das Jackett ausgezogen. Obwohl es noch früh war, war das Hemd am
Kragen und unter den Achseln schweißnaß. Er streckte uns die Hand entgegen.
    „Dr. Herschel? Tut mir leid, daß Sie warten mußten,
aber die Vernehmung hat länger gedauert, als ich erwartet hatte.“ Er sprach mit
einer leisen, etwas rauhen Stimme, die wohl den Leuten die Angst vor seinen
Fragen nehmen sollte.
    Lotty ergriff seine Hand. „Das ist Miss Warshawski,
meine Anwältin. Sie haben doch nichts dagegen, wenn sie dabei ist?“ Es klang
weniger nach einer Frage als nach einer Feststellung, ein kleines Ventil für
ihren Zorn.
    „Keineswegs, keineswegs. Warshawski?“ Er zog die
Augenbrauen zusammen. „Der Name kommt mir bekannt vor-?“
    „Vermutlich denken Sie an den Schrotthändler“,
sagte ich schnell. Über "einige meiner Fälle hatte eine Menge in den Zeitungen
gestanden; nachdem viele Polizisten keine sehr gute Meinung von
Privatdetektiven haben, wollte ich ihn nicht auf die richtige Spur bringen.
„Wir sind nicht verwandt. Er schreibt sich mit einem Y.“
    „Möglich. Aber an ihn habe ich nicht gedacht.“ Er
schüttelte den Kopf und bat uns in das Vernehmungszimmer. „Kein sehr angenehmes
Ambiente, Doktor, aber es gibt zu wenig Räume. Ich habe kein eigenes Büro und
benutze deshalb die Zimmer, die gerade frei sind.“
    Er stellte

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