Tödliche Therapie
daß du für mich arbeitest.
Ich will sichergehen, daß sie diese Schweine finden, daß die aus dem Verkehr
gezogen werden.“
Geduldig erklärte ich ihr, was ich auch Lotty
erklärt hatte.
„Vic! Was soll das heißen? Was meinst du damit, daß
das ein Fall für die Polizei und eine Routineangelegenheit ist? Ich will
hundertprozentig sicher sein, daß, wenn die Polizei sagt, es gibt keine Möglichkeit,
die Mörder dingfest zu machen, es tatsächlich keine Möglichkeit gibt. Ich muß
das einfach wissen. Ich habe keine Lust, bis an mein Lebensende glauben zu müssen,
daß sie den Mörder finden könnten, wenn sie sich nur mal umgesehen hätten, und
daß Malcolm, ein begnadeter Arzt, letztlich nur ein toter Schwarzer mehr war.“
Ich versuchte, so vernünftig zu argumentieren, wie
es mein Job verlangte. Tessa meinte es nicht persönlich. Sie reagierte wie
jemand, der vor Kummer außer sich ist - sie war wütend und verlangte danach zu
wissen, wer ihr diesen Schmerz angetan hatte. „Die gleiche Unterhaltung habe
ich mit Lotty geführt, Tessa. Ich werde die paar Quellen anzapfen, die ich
habe. Und den Alvarados habe ich versprochen, mit Fabiano zu reden. Aber du kannst
nicht von mir erwarten, daß ich dieses Verbrechen aufkläre. Mit jedem Hinweis,
der mir zu Ohren kommt, gehe ich zur Polizei, weil die über die Maschinerie
verfügt, ihn zu verfolgen.“
„Malcolm hat soviel von dir gehalten, Vic, und
jetzt läßt du ihn im Stich.“ Nur ihr Schluchzen hielt mich davon ab, sie anzuschreien.
„Ich lasse ihn nicht im Stich“, sagte ich ruhig.
„Ich versuche nur, dir klarzumachen, daß, wenn ich mich der Sache annehme,
längst nicht soviel herauskommen wird wie bei der Polizei. Meinst du, die
Sache läßt mich kalt? Meinst du, daß ich mit der unbeteiligten Objektivität
eines Sherlock Holmes reagiere, wenn einer meiner Freunde zu Tode geprügelt
wird? Herrgott noch mal, Tessa, Lotty und du, ihr haltet mich wohl für einen
Hackstock?“
„Wenn ich deine Fähigkeiten und Kontakte hätte,
Vic, würde ich sofort was unternehmen, anstatt in meinem Atelier herumzusitzen
und mit Hammer und Meißel eine Trauerstatue zu machen.“
Sie legte auf. Ich rieb mir den müden Kopf. Meine
polnischen Schultern schienen nicht breit genug, um mit der Last
fertigzuwerden, die heute auf ihnen lag. Ich ließ sie langsam kreisen, um die
Verspannungen zu lockern. Unter normalen Umständen müßte ich Tessa recht geben:
In der Regel löse ich meine Probleme besser, indem ich etwas unternehme,
anstatt nachzudenken. Warum also schreckte ich vor diesem Fall zurück?
Ein Zug rauschte draußen vorbei. Ich stand steif
auf und hängte meine Jacke an einen alten Kleiderständer in der Ecke. Meine
ganze Büroeinrichtung ist gebraucht gekauft. Den großen Eichenschreibtisch und
den Kleiderständer habe ich auf einer Polizeiauktion erstanden. Die Olivetti
Schreibmaschine hat einmal meiner Mutter gehört. Hinter dem Schreibtisch steht
ein khakifarbener Aktenschrank aus Metall, den mir eine Druckerei schenkte,
statt mir das Honorar zu zahlen, das sie sich nicht leisten konnte.
Der Aktenschrank enthält jedes Stückchen Papier,
das mir in die Hände gekommen ist, seitdem ich als Rechtsanwältin zugelassen
wurde. Als ich als öffentlich bestellte Verteidigerin aufhörte, verblieben
meine Akten bei der Bezirksgerichtsbarkeit. Aber alle Notizen und Quittungen
habe ich aufgehoben, getrieben von der dunklen Angst, daß der Bezirk - eine
argwöhnische Gottheit - meine Abrechnungen überprüfen und das Kilometergeld
zurückverlangen könnte. Im Laufe der Zeit schien es nicht mehr der Mühe wert,
diese Zettel auszusortieren und wegzuwerfen. Ich verfrachtete die vertrocknete
Pflanze und die Sammlung loser Blätter, die einen Bericht für einen gerade
abgeschlossenen Fall abgeben sollten, in die Ecke und leerte den Inhalt der
untersten Schublade des Aktenschranks auf den Schreibtisch. Da waren
Benzinquittungen, Namen und Adressen von Zeugen, an die ich mich nicht mehr
erinnerte, ein detaillierter Schriftsatz zur Verteidigung einer Frau, die ihren
Mann ermordete, nachdem dieser sie vergewaltigt hatte, sobald er auf Kaution
freigekommen war. Meine Hände wurden schwarz und rußig von dem alten Staub und
meine beige Seidenbluse grau.
Um eins ging ich in die Imbißbude an der Ecke und
aß ein Cornedbeef-Sandwich - keine glückliche Wahl bei der Hitze. Ich nahm zwei
Dosen Mineralwasser mit zurück, um das Salz wieder auszuschwemmen. Endlich, am
späten
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