Tödliche Therapie
Stein.
Wie Mr. Contreras vorhergesagt hatte, schlug das
Wetter in der Nacht um. Als ich für meine morgendliche Runde das Haus verließ,
glänzte alles, die Blätter waren dunkelgrün, der Himmel dunkelblau, und die
Vögel zwitscherten wie verrückt. Das Gewitter hatte den See aufgewühlt; Wellen
klatschten weißschäumend gegen die Felsen. Zurück nach Hause machte ich einen
Umweg, am Chesterton Hotel vorbei, in dem das Dortmunder Restaurant Capuccino
und Croissants zum Frühstück servierte. Die frische Luft und der lange Schlaf
hatten mein Selbstvertrauen erneuert. Welche Zweifel auch immer mich gestern
heimgesucht haben mochten, sie waren nichts im Vergleich mit meinen
unglaublichen Fähigkeiten als Detektivin.
Zuhause erhielt ich gleich den ersten Beweis dafür,
daß meine magischen Kräfte wiederhergestellt waren; nach dem dritten Klingeln
ging jemand an Sergios Telefon.
„Ja?“ sagte eine männliche Stimme voller Mißtrauen.
„Sergio
Rodriguez, bitte.“
„Wer sind Sie?“
„Ich bin V. I. Warshawski. Sergio kennt mich.“
Sie ließen mich warten. Minuten verstrichen. Ich
lag rücklings am Boden und hob abwechselnd die Beine. Nachdem ich jedes Bein
dreißigmal hochgehoben hatte, meldete sich erneut die mißtrauische Stimme.
„Sergio sagt, er schuldet Ihnen nichts. Er will
nicht mit Ihnen reden.“
„Wer hat etwas von Schulden gesagt? Ich nicht. Er
könnte mir einen Gefallen tun und mit mir sprechen.“
Diesmal mußte ich nicht solange warten. „Wenn Sie
ihn sehen wollen, kommen Sie heute abend um halb elf in die Washtenaw Nummer
1662. Allein, keine Bullen, keine Waffen.“
„Aye, aye,
Captain.“
„Was soll das heißen?“
„Das ist Gringo-Sprache und bedeutet: Ich hab
kapiert.“ Ich legte auf. Noch immer auf dem Boden liegend, starrte ich zu der
geschwungenen Stuckverzierung an der Decke hinauf. Wash-tenaw Avenue, das Herz
des Löwen-Landes. Ich wünschte, ich könnte mit einer Polizeieskorte im Rücken
dorthingehen. Oder besser noch, ich im Rücken der Polizei. Aber damit würde ich
nichts erreichen, außer, daß sie mich umbrächten - wenn nicht heute nacht, dann
irgendwann später. Sie würden WARSHAWSKI verkehrt herum auf die Garagentüren
in Humboldt Park sprühen. Oder vielleicht auch nur die Initialen, weil der Name
zu schwierig war. Vielleicht würden sie es auch tun, wenn ich mich an die
Abmachung hielt. Sie würden mich erschießen, sobald ich das Haus verließ. Dann
würde es Lotty sehr leid tun, daß sie mich da hineingeritten hatte, aber es
wäre zu spät. Gerührt malte ich mir mein Begräbnis aus. Lotty mit
versteinertem Gesicht, Carol laut schluchzend. Mein Ex-Mann käme mit seiner
schicken zweiten Frau namens Terri. „Mit der warst du wirklich verheiratet,
Schatz? Die war doch eine Katastrophe und so leichtsinnig - und mit Gangstern
hatte sie sich auch noch rumgetrieben? Ich kann es nicht glauben.“
Der Gedanke an die Plastikpuppe Terri brachte mich
zum Lachen. Ich stand auf und zog mich um. Dann schrieb ich auf einen Zettel,
wohin ich warum ging, und suchte Mr. Contreras, der sich eifrig um seine
Tomatenstöcke bemühte, die voller dicker Tomaten hingen.
„Wie haben sie die Nacht überstanden?“ fragte ich
mitfühlend.
„Gut. Sehr gut. Möchten Sie welche? Ich habe so
viele, ich weiß gar nicht, was ich damit machen soll. Ruthie will sie nicht.“
Ruthie war seine Tochter. Sie kam ab und zu mit
ihren zwei verschüchterten Kindern vorbei, um ihren Vater dazu zu überreden,
zu ihr zu ziehen.
„Natürlich. Geben Sie mir nur, was Sie übrig haben
- ich werde wirklich gute italienische Tomatensoße draus machen. Dann können
wir im Winter mal zusammen Spaghetti essen. Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.“
„Klar, Schätzchen. Ich tue alles für Sie.“ Er ging
in die Hocke und trocknete sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab.
„Ich werd mich heute abend mit ein paar Ganoven
treffen. Ich glaube nicht, daß mir irgendwas passieren wird. Aber falls doch -
ich hab hier die Adresse aufgeschrieben und den Grund, warum ich dorthin gehe.
Wenn ich morgen früh noch nicht zurück bin, können Sie dann dafür sorgen, daß
Lieutenant Mallory diesen Umschlag in die Hand kriegt? Er arbeitet im
Morddezernat in der Elften Straße.“
Er nahm den Umschlag und betrachtete ihn. Bobby Mallory,
vielleicht der beste Freund meines Vaters, war mit ihm bei der Polizei gewesen.
Auch wenn er strikt dagegen war, daß ich als Privatdetektiv arbeitete, würde er
sich darum
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