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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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Nachmittag fand ich den Zettel, den ich suchte, zwischen zwei Blättern,
auf denen meine Gerichtsauftritte im Februar 1975 verzeichnet waren. Sergio
Rodriguez, jugendlicher Krimineller. In seinem jungen Leben war er bereits
mehrmals verhaftet worden wegen zunehmend schwerwiegender Delikte. Mit achtzehn
schließlich war es vorbei mit dem Jugendrecht, und er wurde wegen schwerer
Körperverletzung vor Gericht gestellt. Mir wurde die schöne Aufgabe zuteil, ihn
zu verteidigen. Er war ein gutaussehender Jugendlicher, der vor Charme und
Aggressivität nur so sprühte. Hier hatte ich die Telefonnummer seiner Mutter.
Sie hatte damals nur den Charme gesehen und nicht die Aggressivität, aber ich
hatte mein Bestes für ihr armes, zu Unrecht verurteiltes Baby getan und das
Urteil von zehn auf zwei bis fünf Jahre heruntergedrückt mit der Begründung,
daß es sich sozusagen um Sergios erste Straftat handelte. Er kam aus dem
Knast, als ich mich selbständig machte.
    Zu der Zeit, als ich ihn verteidigte, war er eine
kleine Nummer in einer Straßenbande namens „Giftige Marsmenschen“ gewesen. Als
er aus dem Gefängnis entlassen wurde, mit einem Diplom in Bandenführung und
Gewalttätigkeit, wurde er schnell zu einem mächtigen Mann. Er taufte die
Marsmenschen in Löwen um und behauptete, sie seien ein ehrenwerter Privatclub
wie zum Beispiel die Rotarier. Vor einigen Monaten hatte ich sein Foto im Herald-Star gesehen.
Er hatte die Zeitung wegen übler Nachrede verklagt, weil sie die Löwen eine
Straßenbande genannt hatte. Er trug einen dreiteiligen Anzug, dessen
Stoffqualität sogar auf dem Foto nicht zu übersehen war. Inzwischen hatten die
Löwen laut Rawlings ihr Operationsgebiet nach Wrigley Field und weiter nach
Norden verlegt, in die Viertel, in denen die Hispanos leben.
    Ich steckte Mrs. Rodriguez' Telefonnummer in meine
Handtasche und betrachtete das Durcheinander auf dem Schreibtisch. Vielleicht
war es an der Zeit, endlich alles dem Müll anzuvertrauen. Andererseits könnte
ich eines Tages wieder eine dieser obskuren Notizen brauchen. Ich warf alles
zurück in die Schublade, verschloß den Aktenschrank und ging.
    Im Lauf des Nachmittags hatte sich der Himmel mit
schweren dunklen Wolken überzogen, die die Stadt zu ersticken drohten. Als ich
zu Hause ankam, klebte mir die beige-graue Bluse am Körper. So wie sie aussah,
war ich versucht, sie einfach in den Abfalleimer zu werfen. Nach einer kalten
Dusche fühlte ich mich einem Telefongespräch mit Mrs. Rodriguez gewachsen. Ein
Kind meldete sich, das ich schließlich dazu brachte, seine Großmutter zu holen.
    Endlich hatte ich Mrs. Rodriguez an der Strippe,
deren schwerer Akzent unüberhörbar war. „Miss Warshawski? Ach ja, Sie haben
damals meinen Sergio so hervorragend verteidigt. Wie geht es Ihnen? Wie geht es
Ihnen nach so vielen Jahren?“
    Wir schwatzten eine Weile. Ich erklärte ihr, daß
ich nicht mehr als Verteidigerin arbeitete und mich freute, daß Sergio laut
Zeitung mittlerweile ein erfolgreicher Mann war.
    „Ja, ein wichtiges Gemeindemitglied! Sie wären
stolz, ihn so zu sehen. Er ist Ihnen immer noch sehr dankbar.“
    Das bezweifelte ich, aber ich nahm die Gelegenheit
wahr, um nach seiner Telefonnummer zu fragen. „Ich muß mit ihm reden wegen
eines - äh - Clubmitglieds. In letzter Zeit kam es in der Gemeinde zu gewissen
Vorfällen, und deswegen brauchte ich seinen Rat.“
    Sie kam meiner Bitte sofort nach. Ich fragte sie
nach ihren anderen Kindern. „Und Enkel haben Sie auch, oder?“
    „Ja, meiner Cecilia ihr Mann hat sie
sitzengelassen, und da ist sie mit ihren zwei Kindern zu mir gezogen. Es ist
gut, wieder Kinder im Haus zu haben.“
    Mit den besten Wünschen beendeten wir das Gespräch.
Was glaubte sie wirklich, daß Sergio tat? Tief in ihrem Innersten? Unter der
Nummer, die sie mir gegeben hatte, meldete sich niemand.
    Ich schenkte mir ein Glas Wein ein und nahm es mit
auf den winzigen Balkon vor meiner Küche. Er ging auf den kleinen Hinterhof
hinaus, in dem einige der Mieter Gemüse anbauten. Der alte Mr. Contreras aus
dem ersten Stock war unten und deckte seine Tomatenstöcke ab.
    Er winkte mir zu. „Heut nacht wird's ein starkes
Gewitter geben“, rief er. „Muß meine kleinen Lieblinge in Sicherheit bringen.“
    Ich trank den Wein und sah ihm bei der Arbeit zu,
bis es zu dunkel wurde. Um neun versuchte ich noch einmal Sergio zu erreichen.
Ohne Erfolg. Die letzten paar Tage hatten mich erschöpft. Ich ging zu Bett und
schlief wie ein

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