Tödliche Therapie
kummervollen
Lächeln entgegen. Dann drückte ich Carols Hand und begann den Gang wieder
zurückzugehen. Ich sah auf den Boden und blickte nur kurz auf, um Fabianos
Gesicht in Augenschein zu nehmen. Ich war so verblüfft, daß ich beinahe die
Fassung verlor. Jemand hatte ihm hart zugesetzt. Sein Gesicht war völlig
verschwollen, rot und blau und schwarz. Dagegen sah meine Verletzung aus wie
ein Schnitt, den man sich beim Rasieren beibringt.
Als ich wieder saß, fragte ich Lotty: „Wer hat das
getan?“
Sie zuckte die Achseln. „Ich dachte, du wüßtest es
vielleicht. Seine Mutter war heute morgen in der Klinik, um eine Salbe für ihn
zu holen. Aber nachdem er nicht dabei war, konnte ich ihr nichts geben. Sie hat
ihn dazu gezwungen, zur Beerdigung zu kommen - Carol hat mir gesagt, daß er
wegbleiben wollte.“
Eine Nonne in Tracht ein paar Reihen vor uns drehte
sich um, starrte uns ausdruckslos an und legte einen Finger an den Mund.
Augenblicklich verfielen wir in Schweigen, aber als gesungen wurde, nahm Lotty
ihr Flüstern wieder auf.
„Du hast deine Pistole dabei, nicht wahr?“
Ich grinste, sagte aber nichts, sondern
konzentrierte mich auf den Pfarrer. Die Messe wurde auf spanisch gehalten und
noch dazu so schnell, daß ich nur wenig mitbekam. Consuelos Schulkameradinnen
sangen eine Hymne; der Pfarrer nannte mehrmals Consuelos und Victoria
Charlottes Namen. Ich vermutete, daß er ein Leben beklagte, das beendet war,
noch bevor es begonnen hatte, aber daß Gott zu einem späteren Zeitpunkt würde
Gerechtigkeit walten lassen. Ein ziemlich bitterer Trost, aber so wie ich Mrs.
Alvarado kannte, würde er sie wahrscheinlich einigermaßen zufriedenstellen.
Das Ganze dauerte knapp vierzig Minuten einschließlich der Kommunion für alle
rüschengekleideten Mädchen und die Alvarados. Die Orgel setzte wieder ein, und
die Kirche leerte sich. Burgoyne bahnte sich einen Weg durch die Menge zu Mrs.
Alvarado. Ich lehnte mich zurück und rieb mir die Augen.
„Zu mehr bin ich nicht in der Lage“, sagte ich zu
Lotty. „Gehst du noch mit auf den Friedhof?“
Sie verzog das Gesicht. „Ich bin nicht wilder auf
dieses fromme Theater als du. Außerdem muß ich in die Praxis zurück. Montag
ist der schlimmste Tag, und heute ist Carol nicht da. Dein Gesicht sieht schon
besser aus. Wie fühlst du dich?“
„Nervlich stärker angeschlagen als körperlich. Ich
mach mir Sorgen, was Sergio unternehmen wird, wenn ihn sich die Polizei
vorknöpft. Und es macht mir wirklich zu schaffen, daß ich mich so in ihm
getäuscht habe; ich habe doch tatsächlich geglaubt, er würde sich freuen, mich
wiederzusehen, während er die ganzen Jahre nur eine Stinkwut auf mich hatte.“
Ich erzählte Lotty, daß er gesagt hatte, ich hätte
ihn wie Dreck behandelt. „Da ist was dran. Aber die Sache ist die: Wenn ich
überhaupt darüber nachgedacht hätte - wie ich ihn behandelt habe und wie er
sich dabei gefühlt hat -, dann wäre ich niemals allein zu ihm gegangen. Also
muß ich mir Gedanken über meine Urteilsfähigkeit machen.“
Burgoyne kam zurück und wartete höflich, bis wir
unsere Handtaschen und Lotty ihre Handschuhe eingesammelt hatten. Wir
verließen die Kirche. Burgoyne musterte Lotty nervös.
„Es tut mir leid, daß wir Consuelo nicht retten
konnten, Dr. Herschel. Es ist nur so... Sicherlich hat Ihnen Dr. Tregiere einen
Bericht gegeben, aber vielleicht haben Sie noch Fragen? Wenn Sie mir eine Kopie
überlassen, könnte ich nachtragen, was wir bis zu seiner Ankunft veranlaßt
haben.“
Lotty warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Dr.
Tregiere wurde umgebracht, bevor er die Möglichkeit hatte, mir seinen Bericht
auszuhändigen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir ein vollständiges
Protokoll über die von Ihnen ergriffenen Maßnahmen zukommen ließen.“ Sie
kramte in ihrer Tasche nach einer Visitenkarte für ihn und legte mir dann
tröstend die Hand auf die Schulter.
„Du wirst wieder in Ordnung kommen, Vic. Du bist
ein durch und durch vernünftiger Mensch. Vertrau auf dich.“
11 Künstlernatur
Bevor er in den Wagen stieg, um zum Friedhof zu
fahren, holte ich Paul Alvarado ein. Er und Diego, die sich beide in ihren
schwarzen Anzügen unwohl fühlten, warteten darauf, daß ihre Mutter eine
Unterhaltung mit einer der Nonnen beendete. Paul beugte sich vor, um mir
unterhalb der Hutkrempe einen Kuß auf die Schläfe zu drücken. Er nutzte die
Gelegenheit, um mein Gesicht zu inspizieren.
„Lotty hat Carol
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