Tödliche Therapie
die
Unterwäsche aus. Obwohl der Hosenanzug aus leichtem Stoff war, war ich etwas
ins Schwitzen geraten. Ich streckte mich auf dem Wohnzimmerboden aus und
überlegte, was ich als nächstes unternehmen könnte, um Malcolms Tod
aufzuklären. Seit meiner Begegnung mit Sergio am Samstagabend war mein Kopf
benommen gewesen, zuerst von den Schmerzen und der Demütigung, anschließend von
den Medikamenten. Jetzt hatte ich zum erstenmal wieder Gelegenheit, klar über
die Lage nachzudenken.
Sergio war ein charmanter Soziopath. Im Alter von
achtzehn, als ich ihn verteidigte, hatte er mit größter Plausibilität die
haarsträubendsten Lügen erzählt. Hätte ich damals nicht einen ausführlichen
Polizeibericht in Händen gehalten, wäre ich ihm vermutlich nicht früh genug auf
die Schliche gekommen und hätte ihn nicht davor bewahren können, im Gerichtssaal
auseinandergenommen zu werden. Er war unglaublich wütend gewesen, als ich ihn
verhörte, hatte sich immer wieder neue, nicht unbedingt glaubwürdigere
Versionen seiner Geschichte ausgedacht, bis wir uns schließlich auf eine
Fassung einigten, die vor Gericht durchgehen konnte. Er hätte Malcolm
sicherlich, ohne mit der Wimper zu zucken, umbringen können, und nach
vollbrachter Tat würde er es lächelnd abstreiten. Oder er hatte jemand
beauftragt, was wahrscheinlich seinen heutigen Geschäftspraktiken mehr
entsprach. Aber er hätte nur einen einzigen Grund dafür gehabt: daß Fabiano ihn
darum gebeten hatte.
Aber Fabiano, Jammerlappen und Versager, der er
war, war nicht so psychotisch wie Sergio. Zudem war Fabianos Verhältnis zu den
Löwen kein reines Honigschlecken - ich konnte mir nicht vorstellen, daß Sergio
auf sein Geheiß hin jemanden umbrachte -, es war wahrscheinlicher, daß er
Fabiano demütigte und verhöhnte. Ich hatte das Gefühl, daß Fabiano zwar etwas
über Malcolms Tod wußte, aber nicht direkt etwas damit zu tun hatte. Vielleicht
hatten ihn die Schläge weich gemacht. Ich mußte versuchen, noch einmal mit ihm
zu sprechen.
Ich stand auf. Es war ein guter Tag für
Nachforschungen. Ich zog Jeans und ein gelbes T-Shirt an, steckte den Revolver
in einen kleinen Rucksack und machte mich auf die Socken. Auf dem Weg zur Tür
genügte ein Blick aus dem Küchenfenster, um festzustellen, daß Mr. Contreras tatsächlich
Zwiesprache mit seinen Tomaten hielt.
Tessa Reynolds Atelier befand sich in einem Teil
der Stadt, der unter dem Namen Ukrainian Village bekannt ist. Nicht sehr weit
von Humboldt Park entfernt, war es einmal ein Arbeiterviertel gewesen, das
jetzt als Künstlergegend begehrt war. Zu der Zeit, als die Gegend gerade wieder
neu entdeckt wurde, hatte sich Tessa dort mit Hilfe von Darlehen ein dreistöckiges
Haus gekauft. Sie hatte das Haus gewissenhaft renoviert. Die oberen zwei
Stockwerke waren an Künstler und Studenten vermietet; im Erdgeschoß wohnte und
arbeitete sie selbst. Ihr Arbeitsraum nahm den größten Teil der Wohnung ein.
Sie hatte die Wände nach Süden und Westen einreißen und durch kugelsicheres
Glas ersetzen lassen. Die Arbeiten dauerten zwei Jahre, und danach hatte sie
hohe Schulden bei den Freunden, die die Installationsarbeiten übernommen
hatten. Aber dafür besaß sie jetzt ein riesiges, helles Atelier, das ideal
geeignet war für die massiven Metallplastiken. Durch die verschiebbare Glasfassade
konnte sie mit Hilfe eines kleinen Krans die vollendeten Werke in den Garten
hieven, und die Käufer konnten ihre Lastwagen davor parken und sie
abtransportieren.
Ich ging ums Haus herum, ohne zu klingeln. Wie ich
vermutet hatte, war Tessa in ihrem Atelier, die Türen weit geöffnet, um die
Sommerluft hereinzulassen. Ich blieb einen Augenblick in der Tür stehen. Sie
war so vertieft, daß ich zögerte, sie zu stören. Sie hielt einen Besen in der
Hand und starrte vor sich hin. Als sie mich bemerkte, ließ sie den Besen fallen
und bat mich herein.
„Ich kann zur Zeit nicht arbeiten, also habe ich
gedacht, ich mach mal sauber. Und während des Putzens kam mir eine Idee. Ich
werd ein paar Skizzen machen, bevor sie mir wieder entfällt. Hol dir Saft oder
Kaffee.“
Sie zog sich an ein Zeichenbrett zurück und
hantierte eine Weile geschäftig mit Kohlestiften herum. Ich schlenderte zwischen
Stangen und Platten aus Bronze und Stahl, Schneidbrennern, Metallfeilen und
einigen fertigen Plastiken umher. Die gezackten Ränder einer viereinhalb Meter
hohen Bronzeplastik vermittelten den Eindruck ungeheurer Energie. „Für eine
Bank“, sagte
Weitere Kostenlose Bücher