Tödlicher Kick
eine beidseitige Spastik zu entwickeln. Es ist zu befürchten, dass sein Gehirn schwer geschädigt wurde. Allerdings hat uns sein Betreuer aus dem Seniorenheim berichtet, dass er bereits vor dem Apoplex unter einer alkoholbedingten Demenz litt und seit Jahren nicht mehr orientiert war?!«
Danner nickte knapp.
Die Ärztin nestelte an ihrem Stethoskop herum, das auf ihrem Busen lag wie auf einem Tisch. Ich schätzte, dass sie noch nicht viel Übung im Überbringen schlechter Nachrichten hatte.
»Während seines Aufenthaltes im Seniorenheim hat Ihr Vater keine Patientenverfügung erstellt.«
Ein imaginärer Fussel auf ihrer Brust schien immer interessanter zu werden.
»Die letzten Jahre wäre er dazu auch gar nicht mehr in der Lage gewesen, hat uns seine gesetzliche Betreuerin gesagt.«
»Und?« Der lauernde Tonfall in Danners Stimme verriet, dass er bereits wusste, worauf die Ärztin hinauswollte.
»Hat er früher womöglich schon irgendwo schriftlich festgehalten, wie in einem Fall wie diesem – ähm … verfahren werden soll?«
Die Haut in meinem Nacken fing an zu kribbeln.
Danner zuckte die Schultern: »Sie fragen den Falschen. Ich hab nie Kontakt zu ihm gehabt – mal abgesehen von dem Tag, an dem er die Spiegeleier in der Bratpfanne vergessen und seine Wohnung abgefackelt hat.«
»Sie sind sein einziger lebender Verwandter?!«
Danners Augen hatten sich zu glitzernden Schlitzen verengt: »Soweit ich weiß.«
»Nun«, druckste die Ärztin herum. »Als einziger lebender Verwandter von Herrn Danner – also von Ihrem Herrn Papa, sollten Sie …«, sie räusperte sich, »… nun – entscheiden, inwieweit die lebenserhaltenden Maßnahmen vor diesem Krankheitshintergrund aufrechterhalten werden sollen.«
Danner schwieg.
Die Ärztin begann von einem Fuß auf den anderen zu trippeln. »Ihr Vater war ja bereits seit geraumer Zeit ein Schwerstpflegefall, aus medizinischer Sicht ist das Einstellen der lebensverlängernden Maßnahmen indiziert. Auch seine gesetzliche Betreuerin hat bereits eingewilligt. Sie ist natürlich mit einer Menge Fälle betraut und kennt ihren Vater nur von wenigen persönlichen Treffen, sie wird sich nicht über Sie als Angehörigen hinwegsetzen. Wir benötigen Ihre schriftliche Einwilligung.«
»Vergessen Sie es«, brach Danner sein Schweigen.
»Wie bitte?« Die Ärztin hörte auf zu zappeln.
»Ich werde nicht zustimmen«, erklärte er entschieden. »Ich denke gar nicht dran! Ich werde nicht entscheiden, ob hier irgendwelche Geräte abgestellt werden.«
»Aber Sie sind –«
»Sie sind die Ärztin. Tun Sie, was Sie für richtig halten, aber lassen Sie mich da raus.«
»Sie verstehen nicht. Aus rechtlichen Gründen …«, protestierte sie.
Danner zuckte die Schultern: »Dann lassen Sie die Geräte an. Vielleicht verreckt er ja trotzdem.«
Der rote Mund der Ärztin klappte auf.
Danner drehte sich mit einem Ruck um und ließ sie neben dem Pflegebett stehen. Ich stellte den Wasserbecher auf einen der Plastikstühle und folgte ihm zum Ausgang der Intensivstation.
Gleich darauf standen wir uns wieder im Fahrstuhl gegenüber, angelehnt an die verspiegelten Wände der Kabine, während diese abwärts sackte.
Danners Miene war noch immer wie versteinert. Weil die Ärztin nicht mehr zur Verfügung stand, musste ich jetzt seinen bohrenden Blick aushalten. Ich verschränkte die Arme und starrte schweigend zurück.
Die Kabine verlangsamte ihre Fahrt, um im Erdgeschoss zu stoppen.
Ich öffnete den Mund, doch Danner hob warnend die Hand. »Halt zur Abwechslung einfach mal die Klappe. Am besten tust du so, als wären wir nie hier gewesen, okay?«
Ich knirschte wütend mit den Zähnen.
4.
6 : 56 Uhr.
Sonntagmorgen.
Ich war aufgewacht, weil ich meinte, ein Klingeln gehört zu haben.
Ich öffnete ein Auge halb.
Innerhalb von Sekunden stürzten die Ereignisse der vergangenen Nacht auf mich ein: die Tumulte nach dem verlorenen Fußballspiel, Danners Vater auf der Intensivstation, Danners leere Bettseite irgendwann in den frühen Morgenstunden.
Das leere Bett? Hatte ich geträumt?
Nee, ich erinnerte mich deutlich. In den frühen Morgenstunden hatte mich ein klirrendes Geräusch in der Küche geweckt. Ich war aufgestanden und hatte durch den Türspalt die Langhantel gesehen. Danners dunkles Shirt hatte an seinem Oberkörper geklebt. Weil er nur Boxershorts trug, hatte ich erkennen können, dass seine Oberschenkel bis zum Zerreißen gespannt gewesen waren.
Mein Blick
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