Tödlicher Kick
würde?
Die Empfangsdame musterte unter ihrer fransigen, roten Ponyfrisur hindurch Danners unrasiertes Gesicht, seinen durchnässten Parka und die Fußballmütze, die er in der Eile erneut gegriffen hatte.
»Sechster Stock.« Sie deutete auf den Fahrstuhl.
»Spuck jetzt endlich aus, was los ist!«, zischte ich Danner an, als ich den leuchtenden Knopf neben der Aufzugtür drückte. »Wenn Molle was passiert ist und du deine Zähne nicht auseinanderkriegst, mach ich dich kalt!«
Die Stockwerkanzeige über dem Fahrstuhl zeigte, dass die Kabine zu uns herunterrauschte. Mit einem leisen ›Ping‹ öffnete sich gleich darauf die Tür.
»Molle ist in Ordnung.« Danners Blick traf meinen, als er sich mir gegenüber an die verspiegelte Fahrstuhlwand lehnte.
Gott sei Dank. Ich atmete auf.
Doch Danners Miene ließ mich innehalten. Die Kälte in seinen grauen Augen, der vorgeschobene Unterkiefer, die angespannte Wangenmuskulatur – ich kannte den Gesichtsausdruck.
Er wollte mich loswerden. Beim letzten Mal, als er mich so angesehen hatte, war er nicht einmal davor zurückgeschreckt, mir eine zu scheuern.
Allerdings hatte sich seitdem einiges verändert. Glaubte ich zumindest. Wir schliefen seit einem halben Jahr miteinander, mein Name stand auf dem Türschild und neuerdings erledigten wir sogar die Wäsche gemeinsam.
Danner wandte den Blick ab und fixierte die rot leuchtende Stockwerkanzeige.
»Ping.«
Die Tür glitt zur Seite.
Ein grüner Tresen, hinter dem zwei ebenso grün gekleidete Krankenschwestern Papiere sortierten, stand im Flur wie eine Zollstation an der Grenze. An der geschlossenen Tür dahinter las ich: Station 6 A – Intensivmedizin / Stroke Unit.
Das ›Ping‹ der Fahrstuhltür ließ die Blondere der beiden Grünen den Kopf heben. Sie sah uns interessiert entgegen, betrachtete kurz mein tropfendes Haar, bevor ihre Augen an der Aufschrift Bochumer Junge auf Danners Fußballshirt hängen blieben.
Vermutlich suchte sie nach einer Schublade, in die wir hineinpassen könnten.
Danner trat an den Tresen: »Ben Danner. Man hat mich angerufen.«
»Wegen …?«, wollte die Grüne wissen.
»Mein Vater soll heute Nachmittag eingeliefert worden sein. Gerhard Danner.«
Oh.
Die Schwester blätterte in ihren Unterlagen: »Gerhard Danner … Ja, der ist hier, Zimmer 646.« Sie hob die Nase über die Kante des Tresens. »Und wer sind Sie, bitte?«
»Ich?«
Danner verschränkte abwartend die Arme.
Verdammt! Er versuchte schon wieder, mich abzuschütteln. Ich war ja keine Angehörige. Die Schwestern würden mich nicht reinlassen.
Eigentlich ging mich die Sache auch gar nichts an, mahnte mich mein Gewissen mit leiser Stimme zu Zurückhaltung. Als würde ein winzig kleiner, blonder Engel auf meiner Schulter sitzen und mir ins Ohr säuseln. Es war allerdings ziemlich schwer, das Engelchen zu verstehen, denn auf meiner anderen Schulter hockte meine Neugier in Gestalt einer Teufelin mit lila Punkfrisur und brüllte mich an, bloß nicht artig vor der Tür zu warten wie ein angeleinter Pudel vor einem Supermarkt.
Kurzerhand klemmte ich meine nassen Haare hinter die Ohren, drehte die Spitzen meiner Turnschuhe nach innen und rieb mir so fest die Augen, dass sich meine Lider rot färben mussten.
»Ich bin die Enkelin«, antwortete ich dann. Das Wort ließ Danner zusammenzucken.
Die Krankenschwester hingegen nickte zufrieden. Mit ein bisschen Quetschen und Drücken passte meine Erklärung vermutlich ganz gut in die von ihr in Erwägung gezogene Schublade.
»Ziehen Sie vorsichtshalber Schutzkleidung über und desinfizieren Sie Ihre Hände. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, in seinem kritischen Zustand wollen wir das Risiko einer zusätzlichen Infektion minimieren. Kittel finden Sie in der Schleuse. Wenn Sie so weit sind, drücken Sie einfach die Klingel.«
Ein Summen ertönte und die Tür zur Intensivstation ließ sich öffnen.
Im Zwischenraum bis zur nächsten Tür gab es eine Garderobe und ein Regal, in dem sich die grüne Schutzkleidung stapelte.
Danner drückte die Tür hinter uns zu. »Der Enkeltrick ist ja wohl eine ganz miese Nummer.«
»Sie hat ihn mir abgekauft.« Schulterzuckend schlüpfte ich in den Kittel.
»Eben.«
3.
Die Wände auf der Intensivstation waren nur bis auf Hüfthöhe gemauert. Der obere Wandbereich bestand aus Fensterglas. In vielen Zimmern verhinderten bunte Vorhänge die Einsicht, doch in einigen konnte ich vom Flur aus die schwerkranken Patienten in von Apparaten umstellten
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