Tödlicher Mittsommer
irgendeinenKontakt gehabt, mehrere Monate nun schon. Zuerst hatte sie gedacht: Geschieht ihm ganz recht, dass ich nach Kos gehe. Aber als er weder anrief noch auf ihre SMS antwortete, war sie unruhig geworden. Sie hatte ihm eine Ansichtskarte geschickt und geschrieben, dass er sie anrufen solle, aber er hatte sich nicht gerührt.
Blöder Hund, hatte sie wütend gedacht. Sollte er doch zu Hause durch den Schneematsch latschen, während sie die griechische Sonne genoss. Mann, was waren die Kerle doch für Jammerlappen. Wie kleine Kinder.
Trotzdem sehnte sie sich danach, mit ihm zu reden.
Nun waren nur noch sie und Krister übrig. Er war fast wie ein Bruder für sie. Obwohl sie sich so oft über seine Schmalspurigkeit und seinen Mangel an Ehrgeiz geärgert hatte, war er doch Verwandter und Freund zugleich.
Zeitweise ihr einziger Freund, um ehrlich zu sein.
Sie hatten beide keine Kinder und keinen festen Partner. So manches Mal, wenn sie gemeinsam eine der vielen Weinflaschen geleert hatten, die er »gelegentlich« von seiner Arbeit im Systembolaget mitgehen ließ, hatte sie sich gefragt, ob sie wohl auch noch als Rentner so beisammensitzen würden. Einsame Verlierer, die es zu nichts gebracht hatten. Verbitterte Greise, die sich die Zeit damit vertrieben, einander ihr Schicksal vorzujammern.
Deshalb hatte sie auch kaum ihren Augen getraut, als sich plötzlich die Chance auf ein neues Leben vor ihnen auftat. Zum ersten Mal bestand Aussicht auf eine bessere Zukunft, ein geordnetes Leben, weit weg vom Job als Lagerarbeiter und von verqualmten Nächten am Casinotisch. Eine Chance auf richtig viel Geld für sie beide.
Aber Krister hatte den Schwanz eingekniffen. Sie verstand es nicht. Es wäre so einfach gewesen, sie wusste genau, was zu tun war und was gesagt werden musste.
Er hatte ja den Beweis. Den schriftlichen Beweis.
Sie hatte in seinem Wohnzimmer gesessen. Er hatte auf dem Sofa gelegen und sie unter schweren Lidern angesehen. Sein Hemd war bis zum Bauch aufgeknöpft und voller Flecke. Er strich sich die fettigen Strähnen zurück, die längst eine Haarwäsche vertragen hätten, und schüttelte den Kopf.
»Was du immer für Ideen hast. Begreifst du nicht, dass das nie funktionieren würde?« Er füllte sein Weinglas. »Willst du noch?«
Er hob die Flasche hoch und wedelte damit in ihre Richtung. Sie sah ihn an und seufzte.
»Nein. Ich will nur, dass du dir anhörst, was ich zu sagen habe.«
Wütend steckte sie sich noch eine Zigarette an. Sie inhalierte tief und musterte ihn. Die Umgebung hier deprimierte sie. Diese schäbige Junggesellenbude.
»Hör mir wenigstens zu!«, versuchte sie es noch mal.
Aber er hatte sich geweigert, ihren Vorschlag ernst zu nehmen, und war jedes Mal ausgewichen, wenn sie wieder darauf zu sprechen kam. Sie hatte sogar seine Mutter ins Feld geführt. Hatte gesagt, dass Cecilia auch gewollt hätte, dass er den Schritt tat. Hatte wieder und wieder auf ihn eingeredet.
Am Ende war sie richtig wütend geworden.
»Dann bleib doch in deinem Dreck hocken, du Idiot«, hatte sie ihn angeschrien. »Das ist deine einzige Chance auf ein anständiges Leben, und du hast nicht mal den Mumm, es zu versuchen!«
Sie musterte ihn voller Verachtung. Kochend vor Wut.
»Scheiße, was bist du nur für ein jämmerlicher Feigling. Du wirst in diesem verdammten Drecksloch sitzen, bis sie dich auf den Acker karren.«
Dann war sie aus der Wohnung gestürmt und zwei Tage später nach Kos geflogen, ohne noch einmal mit ihm gesprochen zu haben.
Jetzt tat es ihr leid.
Krister hatte es im Leben nicht leicht gehabt. Seine Großeltern hatten jeden Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen, als sie mit achtzehn schwanger wurde. Cecilia hatte ihn ganz allein großziehen müssen, und sie hatte sich und den Jungen versorgt, indem sie im Systembolaget arbeitete. Eine ledige Mutter zu sein war Mitte der Fünfzigerjahre kein Zuckerschlecken, und Krister war mit Sicherheit kein einfaches Kind gewesen. Als er nach der neunten Klasse mit schlechten Noten von der Schule abging, hatte sie ihn bei ihrer Arbeitsstelle im Systembolaget untergebracht, und dort war er dann geblieben.
Er hatte seinen anonymen Erzeuger nie kennengelernt. Seine Großeltern übrigens auch nicht. Sie starben, ohne ihr Enkelkind je gesehen zu haben. Bis zum letzten Atemzug verbittert wegen der Schande.
Kickis Vater hatte versucht, seiner Schwester zu helfen, aber besonders gut war es ihm auch nicht gegangen. Als Kickis Eltern dann Ende der
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