Tödlicher Staub
Proben des Nuklearmaterials überreicht hatten. Dieser Kontakt war ebenfalls durch den BND über Mittelsmänner in Spanien hergestellt worden. Der Tip erwies sich als richtig. In einem Schalenkoffer hatten die drei Händler 363,4 Gramm hochreines, waffenfähiges Plutonium 239 mitgebracht. Dazu noch vierhundert Gramm Lithium 6 – unentbehrlich für die Herstellung der Wasserstoffbombe vom Typ Nagasaki. Die Händler betrachteten auch diese Menge an Plutonium nur als Beweis ihrer Seriosität … die endgültige Liefermenge sollte vier Kilogramm betragen. Ein Deal im Werte von 387,5 Millionen Mark! Wie das alles gelaufen ist, wissen Sie. Herumgerätselt wurde lediglich, woher das Nuklearmaterial stammt. Man tippte auf die Atomfabrik in Majak, das zur ehemals geheimen Stadt Tscheljabinsk-65 in Sibirien gehört. Die russische Regierung bestritt das energisch, der stellvertretende Atomminister Sidorenko wies alle Vorwürfe zurück und sprach von einer gezielten Lüge. Er hatte recht …«
Ein Raunen ging durch den Konferenzsaal. Was sagt der Wallner da? Er zweifelt die Untersuchungen an, die von Experten durchgeführt worden waren? Wenn das nur gutgeht!
Wallner blätterte in der dicken Akte. »Ich verstehe Ihre Reaktionen«, fuhr er fort. »Aber seit dem 10. August 1994 hat sich vieles verändert. Was bisher geheime Verschlußsache war, kann ich Ihnen heute unter Auferlegung totaler Schweigepflicht und mit Billigung des russischen Kollegen Stepaschin mitteilen: Der bisher geheime Lieferant des Münchener Plutoniums ist dank der hervorragenden Arbeit des FSB in Moskau enttarnt worden. Der Beschaffer der 363,4 Gramm mit einer Reinheit von siebenundachtzig Prozent, also absolut waffenfähig, ist ein einundsechzigjähriger Pensionist, von Beruf Chemiker und spezialisiert auf Nuklearforschung. Ein absoluter Fachmann! Er heißt Gennadi Nikiforow und wohnt in Moskau, am Kawkaskijboulevard. Das in München beschlagnahmte Plutonium stammt nicht aus einem sibirischen Brüter, sondern aus der Atomforschungsinstitut Obninsk, eines der Zentralinstitute der russischen Kernforschung, achtzig Kilometer von Moskau entfernt. Damit sind alle Spekulationen deutscher Medien widerlegt. Ich betrachte das als einen großen Erfolg der deutsch-russischen Zusammenarbeit.«
Zwei Beatme klatschten Beifall; ihre Kollegen sahen sie mißbilligend an. Auch Wallner winkte ab.
»Das ist nur die Vorderseite … die Rückseite ist weniger glatt poliert. Im August 1994 wurden in Moskau zwei Atomhändler festgenommen, die Kontakte zu westlichen Vermittlern aufgenommen hatten. Das Fatale an der Verhaftung war, daß die beiden Anbieter Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB waren. Und der FSB hatte den Auftrag, die Nuklearkriminalität zu bekämpfen. Aber solche schwarzen Schafe gibt es in allen Ländern – sie sind nicht rußlandtypisch.« Wallner blätterte erneut in seinen Akten und hatte bald gefunden, was er suchte.
»Um Ihnen die gegenwärtige Situation der Nuklearkriminalität zu illustrieren, muß ich Sie leider mit einigen Statistiken langweilen. Aber sie geben genaue Auskunft darüber, daß wir es nicht mehr mit Einzelpersonen zu tun haben, sondern mit einer gutorganisierten, international arbeitenden Verbrecherorganisation. Beginnen wir bei dem bereits erwähnten Gennadi Nikiforow in Moskau, dem braven Pensionär, der in seiner ›Freizeit‹ eine Handelsgesellschaft für Buntmetalle gegründet hat. Nachdem am 10. August der Münchener Deal geplatzt war, wurde Nikiforow bereits Ende August wieder aktiv. Über seine Verbindungsleute im Ausland bot er wiederum fünf Kilogramm hochangereichertes Plutonium 239 an. Ermittler des FSB fanden heraus, daß dieses Mal das Plutonium nicht aus Obninsk stammte, sondern aus der Plutoniumfabrik Tomsk-7. Durch ihre Agenten erfuhr der FSB sogar den Weg der tödlichen Ware: über Moldawien nach Rumänien und von dort weiter nach Österreich und Deutschland, ganz normal per Flugzeug. Die an sich schon locker kontrollierenden Beamten in den Flughäfen von Moskau und Bukarest wurden zudem noch bestochen. Nichts Neues … Korruption ist ein weltweites Problem. Und nun der Gipfel: Die bestellte Menge sollte ab dem 11. September 1994 geliefert werden. Wir haben daraufhin einen Monat lang alle aus dem Osten kommenden Flugzeuge unter die Lupe genommen. Ohne Erfolg. Wir wissen bis heute nicht, ob diese vier Kilogramm Plutonium in Deutschland oder Österreich angekommen sind. Sie sind verschwunden. Und noch einmal
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