Tödlicher Staub
freundschaftlich verbunden war und die von ihm ein gutes Zubrot zu ihren Gehältern erhielten. Es war ein Problem, das man schnell lösen mußte, denn die ganze Welt blickte jetzt nach Moskau, der Schwarze Peter lag bei den Russen. Was man schon immer geahnt hatte, war nun offiziell: Das Nuklearmaterial, das durch verschiedene Länder geisterte, stammte aus russischen Brütern oder Instituten. Ein Kesseltreiben gegen Rußland, wie Moskauer Offizielle es genannt hatten, wurde von der bitteren Wahrheit abgelöst, da offengelegt wurde, was die Verantwortlichen schon längst wußten. Nun hieß es, schnellstens zu handeln.
Im Auftrage der deutschen Regierung in Bonn flog Egon Wallner vom BKA nach Moskau. Er war mittlerweile zum leitenden Kriminaldirektor befördert worden mit der Aussicht, in absehbarer Zeit Polizeipräsident von Stuttgart zu werden. Der Flug nach Moskau war wahrscheinlich seine letzte große große Aufgabe in Sachen Plutoniumschmuggel.
In Moskau empfing ihn der russische Geheimdienstdirektor Sergej Stepaschin, bei dem bereits der Abgesandte von Kanzler Kohl, Staatsminister Bernd Schmidtbauer als Koordinator der Geheimdienste vorstellig geworden war. Somit war ein enger Kontakt zu den deutschen Ermittlern geschaffen worden, als Wallner das Gebäude des FSB betrat: die gefürchtete Lubjanka, zu Zeiten der Sowjetunion oft die Endstation für Verhaftete. Bevor du die Lubjanka betrittst, nimm Abschied von deinen Lieben, heißt ein modernes russisches Sprichwort. Nach Glasnost und Perestroika hatte es zwar seinen Schrecken verloren, aber die ›Fachleute‹ waren noch da, und sie begannen nun, Sybins Imperium aufzurollen.
Was im einzelnen zwischen Wallner und Stepaschin besprochen worden war, wurde nicht bekannt. Alle Aktionen verliefen im stillen, alle Razzien und Verhaftungen unterlagen absoluter Geheimhaltung. Zum ersten Mal wurden auch Informationen deutscher V-Männer des BND verwertet und erwiesen sich als Tatsachen. Grundlage der engen Zusammenarbeit zwischen Rußland und der Bundesrepublik Deutschland war ein Memorandum zur Bekämpfung des illegalen Nuklearhandels, das Staatsminister Schmidtbauer und FSB-Chef Stepaschin am 22. August 1994 unterzeichnet hatten, zwölf Tage nach dem bisher größten Plutoniumfund auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München, der weltweit für größte Aufregung sorgte, und vor allem Rußland als neuen Unruhestifter entlarven sollte.
In Moskau hatte man empört reagiert: Innenministerium, Atomministerium, Außenministerium, Verteidigungsministerium und die russische Atomaufsichtsbehörde Gosatomnadsar protestierten und sprachen von einer Beleidigung Rußlands. Einen Augenblick lag die Gefahr in der Luft, daß das gute Ost-West-Verhältnis zusammenbrechen würde.
Nun aber waren sich FSB und der BND einig, daß nur ein kooperatives Vorgehen gegen den erwiesenen Atomschmuggel erfolgreich sein könnte, aber gleichzeitig wurde jede Aktion als geheime Verschlußsache behandelt. Den Spekulationen über den Münchener Atomskandal war der Boden entzogen worden.
In Paris genoß Jean Ducoux seinen Triumph. Es war eine nationale Tat gewesen, die Atommafia zu zerschlagen und damit international für Ruhe und Erleichterung zu sorgen. Frankreichs Sûreté hatte ihr Können bewiesen. Auch Mitterrand sah das so, empfing Jean Ducoux im Élysée-Palast und sprach ihm seinen Glückwunsch aus. Ducoux verließ stolz das Arbeitszimmer des Präsidenten.
Auch im ›Roten Salon‹ empfing man Ducoux mit Applaus. Madame de Marchandais aber mußte einen Verlust beklagen: Botschaftsrat Anwar Awjilah war plötzlich zurück nach Teheran versetzt worden und hatte Paris bereits zwei Tage nach Sendlingers Verhaftung verlassen. Niemandem fiel etwas auf, denn es ist üblich, daß Botschaftsangehörige hin und her geschoben werden.
In Berlin hatte das Landeskriminalamt die Kanzlei von Dr. Sendlinger gründlich durchsucht. Kartonweise wurden Akten beschlagnahmt und abtransportiert, der Oberstaatsanwalt leitete die Aktion, eine Gruppe Kriminalbeamter war damit beschäftigt, alle Personen aus der Kartei des Anwalts zu überprüfen. Das verstieß zwar gegen das Datenschutzgesetz, aber in diesem Fall hielt man eine solche Maßnahme für gerechtfertigt, denn es bestand die Gefahr der Verdunkelung, wenn man nicht schnell genug arbeitete.
Im Verlauf dieser Kontrollen erschienen auch zwei Beamte des LKA Berlin bei Hässler im Lokal Zum dicken Adolf. Hässler, darauf gefaßt, hatte seine Antworten schon
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