Toedlicher Staub
einige Dinge ändern. Vielleicht war Belgien dafür gar nicht so geeignet, zu viele Erinnerungen, zu viele Verbindungen. Andererseits wäre es genauso wenig eine Lösung, zu ihrer Mutter nach Nuoro zurückzugehen, die sie brav in Löwen im Labor vermutete, statt in Villaputzu, wohin ihre Mutter, distanzlos wie gewohnt, sofort nachgekommen wäre, um das Leben ihrer Tochter in die Hand zu nehmen. Man hüte sich vor Witwen, die in ihrer Trauer nichts mit sich anzufangen wissen.
Nina hatte keine Gewissheiten mehr und nicht einmal die geringste Ahnung, ob sie weiterhin als Tierärztin arbeiten wollte. Ratlos zündete sie sich eine Zigarette an, um sich die Zeit zu vertreiben.
Am nächsten Morgen war in den Lokalnachrichten im Fernsehen von einem Verkehrsunfall die Rede, bei dem Mario Cannas, 42, umgekommen war. Er war zwischen Quartu Sant’Elena und Villasimius durch die Leitplanke gebrochen und in eine Schlucht gerast. Die Unfallursache sei noch unbekannt, Zeugen habe es keine gegeben.
Tore machte den Fernseher aus und ging sich umziehen. Er rief ein Taxi und fuhr zu Mario nach Hause, um der Witwe und der zwölfjährigen Tochter sein Beileid auszusprechen. Die Wohnung war voller Verwandter und naher Freunde. Er betrat sie zum ersten Mal und musste erst einem Dutzend Unbekannter die Hände schütteln und tröstende Worte zuflüstern, bevor er sich zu dem Sofa durchgearbeitet hatte, auf dem die Witwe saß. Er hatte sie bislang nur bei wenigen Gelegenheiten gesehen und war erstaunt, dass ihm vollkommen entgangen war, wie attraktiv sie war. Trotz des von der Trauer entstellten Gesichts brachte das schwarze Kleid ausgesprochen gefällige Formen und Kurven zur Geltung. Er umarmte sie lange.
»Ich werde mich um dich und die Kleine kümmern«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Gegen Mittag traf er auf einem Parkplatz ein, wo ihn Franchino und Luca, der Neapolitaner, in einer dunklen Limousine erwarteten. Den Geländewagen hatten sie auf dem Land abgefackelt und das Wrack stehen lassen. Langsam rollte der Wagen an den Überresten von Trincas’ Bar entlang. Sebastiano diskutierte gerade mit einem Maurer und wedelte ungeduldig mit den Armen.
»Fahr beim nächsten Kreisel zurück«, befahl er dem Neapolitaner, der hinterm Steuer saß.
Gloria öffnete die Tür, das Haar mit einem Schal locker aufgebunden, Gummihandschuhe bis zu den Ellbogen: »Entschuldigung, ich bin gerade beim Saubermachen.«
Selbstbewusst wedelte Tore ihr mit einem Ausweis vor der Nase herum. »Polizei«, murmelte er, während er, von den beiden Söldnern gefolgt, an ihr vorbei in die Wohnung trat.
Die Frau wurde blass. »Ist Sebastiano etwas passiert?«
Moi lächelte beruhigend. »Nein, Signora. Wir haben ihn gerade noch an der Bar mit den Maurern gesehen. Wir sind wegen Ihnen hier.«
»Wegen mir?«
»Ja. Wir müssen Sie bitten, meinen beiden Beamten aufs Revier zu folgen, für ein paar Fragen bezüglich des Brandes.«
»Aber ich weiß nichts. Ich habe geschlafen und …«
»Eben. Es ist eine reine Formalität, die noch erledigt werden muss, damit wir die Akten schließen können.«
Gloria wickelte den Schal ab, zog die Handschuhe aus und ging ins Bad, um sich schnell zurechtzumachen.
»So, da bin ich.«
Tore deutete auf die Tür: »Dann los.«
»Ich muss noch abschließen.«
»Ich bleibe hier. Ich habe mit Ihrem Mann zu reden.«
Sie überdachte rasch die Situation. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Doch sie hatte keine Zeit zum Nachdenken, denn Franchino und Luca fassten sie je unter einem Arm und schoben sie mit bedrohlicher Freundlichkeit Richtung Ausgang.
Tore Moi schloss die Tür, setzte sich im Wohnzimmer in einen Sessel und rief Sebastiano an. »Ich habe mit dir zu reden.«
»Wann und wo?«
»Jetzt. Bei dir zu Hause.«
Er beendete das Gespräch und legte die Beine auf den Couchtisch. Lange würde er nicht warten müssen.
Wütend stieß Sebastiano die Tür auf. Als er Tore Moi so bequem in seinem Lieblingssessel sah, verlor er die Beherrschung. »Du Arschgesicht, was hast du hier zu suchen!«
»Setz dich hin. Wir müssen uns unterhalten.«
»Du gibst mir keine Befehle mehr!«, schrie er. »Wo ist Gloria?«
»Nicht zu Hause.«
»Wo ist sie?«
»Sie dreht eine Runde mit Franchino und seinem Freund.«
Trincas wurde blass und rannte aus dem Zimmer, seine Frau rufend. Wenige Augenblicke danach kam er zurück, bewaffnet mit einem langen Küchenmesser. Er setzte Moi die scharfe Klinge an den Hals. »Ruf sie an. Sie sollen sofort
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