Toedliches Erbe
fragte Reed. »Paßt die hier irgendwie hinein?«
»Ich könnte ins Gefängnis kommen«, sagte er düster.
»Du und die anderen Jungs. Aber hinter was wart ihr denn her mit eurer Elektronik?«
»Die beiden sind so raffinierte Lügner. Sie geben damit an und leugnen trotzdem ganz überzeugend alles ab. Und Finlay hat mich angelogen, einen seiner engsten Freunde.«
»Vom Direktor ganz zu schweigen.«
»Genau. Also…«
»Also wolltet ihr es auf Band haben. Ich nehme an, ihr wolltet sie im Umkleideraum damit prahlen lassen. Ein hervorragender Ort für Angebereien, das kann ich bestätigen.«
»Das war der Plan der anderen, Reed«, sagte Leo. »Sie meinten, selbst wenn wir über die Wanzen nicht reden dürften, würden wir dann zumindest wissen. Ich bin dagegen, wir wissen ja sowieso Bescheid. Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist, ob wir an der Schule dagegen etwas unternehmen.«
»Kannst du dich erinnern«, fragte Reed Kate, »wann wir das letzte Mal drei Martinis getrunken haben?«
»Das kann ich. Die Umstände sind in keiner Weise auf diesen Fall übertragbar.«
»Ihr meint also im Unterschied zu all den anderen Eltern, ich soll 74
tun, was ich für richtig halte, wenn ich es wirklich will?« sagte Leo.
Reed mixte die Drinks, bevor er antwortete. »Ich werde nie ein Vater sein, Leo, außer so, wie dir gegenüber, und ich habe keinerlei Recht, mich auf Elternpflichten zu berufen. Ich tue es trotzdem.
Eltern sind in den Augen ihrer Kinder entweder die Stimme des Gesetzes und der Vernunft und halten sich an die Konventionen, oder sie sind gar nichts. Da ich hier als Vater auftrete, werde ich in diesem Sinne sprechen. Aber erwarte keinen Ruhm. Die meisten Menschen, die sich für das Gesetz stark machen, erwarten Dank dafür. Doch sie werden nur angespuckt. Man kann nur dann für das Recht kämpfen, wenn man es für so wichtig hält, daß man keine andere Möglichkeit sieht. Möchte mich jemand als Redner für Dip-lomfeiern engagieren? Mein Honorar ist niedrig und mein Vortrags-stil üppig.«
»Ich frage mich, was Cecily Hutchins wohl von alldem gehalten hätte«, sagte Kate. Aber eigentlich fragte sie sich, was Gerry Marston wohl davon gehalten hätte. Oder Max.
Nach einem Dinner, bei dem die ganze St.-Anthony’s-Geschichte noch einmal durchgekaut wurde – denn erst wenn Fragen gestellt und viele Aspekte erörtert worden sind, kann man Entscheidungen fällen, und nachdem Leo sich zurückgezogen hatte, wanderten auch Reeds Gedanken zu Max.
»Hast du irgend etwas Weltbewegendes oder zumindest Tröstliches erfahren, heute mittag beim Lunch? Du bist ja noch gar nicht dazu gekommen, mir davon zu erzählen.«
»Max hat mich beruhigt, so gut er konnte, und ich bin geneigt, andere Gefühle meiner überhitzten Phantasie zuzuuschreiben – eine Diagnose, der du, wie ich weiß, im Prinzip zustimmst, wenn nicht sowieso. Ich weiß noch immer nicht, was das Mädchen dort gewollt hat. Ich weiß nur, daß sie mutig und abenteuerlustig war. Aber warum ist sie auf die Felsen hinausgeklettert? Dabei gebe ich mir dann zur Antwort, ich bin – eine Frau mittleren Alters und angeblich ganz vernünftig – auch hinausgeklettert. Und so drehe ich mich im Kreis, lieber Reed, wie das meine Gewohnheit ist. Möchtest du dich einrei-hen?«
»England wird eine Erholung für dich sein. Wann geht dein Semester zu Ende?«
»In der ersten Maiwoche, wenn ich ganz niederträchtig bin und am Ende der Vorlesungen gleich davonsause, statt zu warten, daß man mich in irgendeinen Ausschuß schleppt oder zu einer Prüfung 75
oder so. Aber meinst du denn, ich sollte fahren? Und Leo mit dieser ganzen Geschichte allein lassen?«
»Also wirklich, Kate! Jetzt überkommen dich aber alle weiblichen Schuldgefühle. Du bist nicht seine Mutter, und außerdem: Was kannst du für ihn tun? Bis Anfang Mai wird die ganze Angelegenheit in einer anderen Phase sein, wenn nicht sowieso völlig verändert.
Mütterliche Frauen opfern sich immer für ihre Kinder auf, um dann festzustellen, daß ihre Kinder sie gar nicht so sehr brauchten. Leo ist schließlich fast achtzehn.«
»Reed, du bist ein scharfsinniger Mensch, wenn ich das auch selten erwähne. Mir ist vor kurzem genau das aufgefallen, was du meinst. Weibliches Schuldgefühl. Ich kenne eine Professorin, eine sehr bedeutende, die für den Rest des Semesters all ihre Kurse abgesagt hat, weil ihr Mann einen Herzanfall hatte. Na ja, es war verdammt beunruhigend, und ich habe mit ihr gefühlt. Aber in
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