Toedliches Erbe
interessiert war, und vor allem am Somerville College.
Ich hatte gehofft, Max würde mir erlauben, Cecilys Papiere nach Belegen über diese Jahre durchzuforsten. Zusammen mit den Unterlagen, die wir haben, von Vera Brittain und anderen, könnte daraus eine faszinierende Studie werden. Meinen Sie nicht?«
»Doch, aber ich bin nicht sicher, ob auch Mr. Reston dieser Meinung ist. Zweifellos scheut er davor zurück, weil auch seine Mutter zu dieser Generation gehört hat. Oder vielleicht meint er, das Interesse solle ihren Romanen gelten. Das wäre auch meine Meinung.«
»Also«, sagte Kate, »da ich Promotionen betreue, muß man mir schon ein gewisses berufliches Interesse an Literaturgeschichte zugestehen. Eine Arbeit über die Frauen der Kriegsgeneration in Oxford wäre sicher begrüßenswerter als eine weitere Analyse der
›Middlemarch‹ - Gesellschaft. Wissen Sie etwas über Dorothy Whitmore?«
»Komisch, daß Sie mich das fragen. Ich habe gelesen, daß ihr Bild an die Tate Gallery kommt, und die Leute im Gotham Book Mart angerufen und nach Büchern von ihr gefragt. Sie verkaufen hin und wieder den einzigen lieferbaren Titel von ihr, ›North Country Wind‹. Es ist ihr populärstes Buch, erschien erst nach ihrem Tod und wurde verfilmt.«
»Mr. Sparrow, wie wäre es, wenn ich Ihnen jetzt gleich in Ihre 78
Höhle folgen würde? Dürfte ich einen Blick hineinwerfen?«
»Es wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen. Von allen Promoti-onsproblemen und Oxford-Generationen mal abgesehen, Professor Fansler: Reston wird eine phantastische Biographie schreiben. Er gehört zu jenen Wissenschaftlern und Schriftstellern, die – wie soll ich das taktvoll und mit dem gebotenen Respekt ausdrücken? – sich im Gespräch immer etwas von oben herab anhören, aber fähig sind, die Gedanken und das Leben desjenigen, über den sie schreiben, transparent zu machen. Wenn er sich die richtige Figur vornimmt –
und zu Cecily fühlt er sich ja wirklich hingezogen –, dürfte er bei seiner englischen Erziehung und seinen amerikanischen Erfahrungen weit fähiger als wir sein, sie zu verstehen. Wissen Sie, warum sie nach Amerika gekommen ist?«
»Ricardo zog nach Amerika, und wohin Ricardo ging, ging auch Cecily. Wissen Sie etwas über Ricardo?« fragte Kate, als sie mit Sparrow auf die Straße trat.
»Ein bißchen. Er war Maler, und die Museen und reichen Sammler hatten ihn geholt, ähnlich wie Roger Fry – nur daß er blieb. Erst in späteren Jahren, als er das Malen aufgegeben hatte, zogen sie an die Küste von Maine zurück. Er war deutlich älter als Cecily und ist vor ihr gestorben, obwohl er ein hohes Alter erreichte. Cecily konnte wohl überall schreiben. Gewiß sind sie immer wieder mal nach England gefahren. Seltsamerweise ist keines ihrer Kinder auch nur im geringsten künstlerisch veranlagt. Ich glaube, die Tochter kann nicht einmal aquarellieren.«
»Vielleicht fühlte sich Cecily deswegen so zu Max hingezogen.
Mit Eltern und Kindern ist das so eine Sache; das ist mir oft aufgefallen. Vor allem, wenn beide Elternteile sehr dynamische und begabte Menschen sind, scheinen die Kinder das Mittelmaß regelrecht anzustreben. Jedenfalls gelingt ihnen das.«
Inzwischen waren sie am Haupteingang von Wallingford angekommen, einem Gebäude, das den Namen seines Erbauers und Besitzers trug. Es war innen wie außen als Symbol geplant worden. An der Tür begrüßte Sparrow einen weißhaarigen Farbigen, der aussah, wie einem Südstaatenfilm der späten dreißiger Jahre entstiegen und seitdem keine Minute mehr gealtert. »Dieser Status bedeutet, daß wir nichts ändern dürfen, nicht einmal die Farbe des Anstrichs, ohne unseren Rausschmiß zu riskieren. Eine äußerst lästige Sache und teuer dazu, aber zumindest bewahrt sie uns vor irgendwelchen wilden Spekulanten, die hier in Wallingford die Macht an sich reißen 79
könnten«, meinte er und komplimentierte Kate im zweiten Stock, wo sich die Bibliothek befand, aus dem Aufzug. »Nicht, daß das sehr wahrscheinlich wäre. Kurzum, es ist ein Segen, wie so häufig, wenn es um Symbole geht. Aber wir hoffen, wir gewinnen dabei ein biß-
chen mehr, als wir verlieren. Hier warten die Kisten auf uns, aufregend und unausgepackt.«
Die Bibliothek von Wallingford war dem Raum des Herzogs von Humphrey in Oxfords Bodleian-Bibliothek nachempfunden und wirkte wunderbar einladend. Aber sie durchquerten sie, ohne nach rechts und links zu sehen, und gingen zu einem kleineren Raum am anderen
Weitere Kostenlose Bücher