Toedliches Fieber
Elends zurückgekehrt, aus dem er sich so mühsam herausgearbeitet hatte?
Was war nur passiert, dass er wieder so aufgewühlt war?
Er war doch nur ein wenig gereist, in eine weit entfernte Zeit, wo keine alten Gespenster darauf lauern konnten, schlechte Erinnerungen wieder auszugraben. Oder?
Sethos sprach nicht mit Matthias. Er redete mit niemandem. Zwei Tage lang schlief er nur, dann aß er einige Oliven und fing an zu laufen. Er rannte immerzu, Tag für Tag, bis der Himmel die Farbe wechselte und aus dem Blau Rosa und dann samtiges Schwarz wurde. Wenn seine Beine ihn nach Hause trugen, war es so spät, dass die Sterne schon am Himmel standen.
Doch Seth konnte seinen Schmerz nicht durch Rennen überwinden. Seine Qualen zerrissen ihn, sie drückten ihn nieder. Er war kurz vorm Ersticken. Sein Atem stockte jeden Abend, wenn er auf seine Zimmertür zulief und sich fragte, wie er nur wieder den Weg gefunden hatte.
Wie hatte er es so weit kommen lassen können, dass die alte Wunde wieder aufgerissen war? Er hatte alles dafür getan,sie auszubrennen, und war sicher gewesen, dass sie recht gut verheilt gewesen war.
Doch möglicherweise funktionierte dieses zweite Leben wie ein unerbittlicher Kreislauf aus Verzweiflung, Betäubung und erneuter Verzweiflung. Davon würde er nie loskommen.
Von ihr würde er nie loskommen.
Der Name, dem er nun schon so lange aus dem Weg gegangen war, erfüllte seine Gedanken. Verspottete ihn. Verletzte ihn.
Livia.
»Seth, Bruder?« Matt fasste zaghaft seine Schulter. »Sprich mit mir. Was ist passiert?«
Seth sah glatt durch ihn hindurch. Er war in Gedanken immer noch bei den Ereignissen, die ihn in die Flucht getrieben hatten.
»Äh … hast du das Quantenmikroskop gefunden?«, fragte Matt weiter.
Seth drehte sich langsam um. Das Mikroskop. Deswegen war er ursprünglich nach London gereist. Das war so lange her … Doch woher wusste Matthias davon? Es war ein Geheimnis gewesen – zwischen ihm und Zackary. Allmählich siegte die Neugier über sein Elend. Er sah Matt an und fragte sich, wie viel er noch wusste.
»Quantenmikroskop?«, wiederholte er.
Matt sah ihm in die Augen. »Dein Zimmer«, setzte er dann an, »es quoll geradezu über vor Notizen, Tabellen und Fragen. Ich habe alles gelesen.«
Seth nickte.
Ermutigt fuhr Matt fort. »Hast du es denn nun gefunden?War die Schule für deine Nachforschungen geeignet? Das interessiert mich wirklich sehr – ich habe nämlich selbst auch ein paar Versuche gemacht.«
Seth zog die Augenbrauen hoch. »Ach ja, was denn?«
»Tja, nachdem ich dir gefolgt bin …«
»Du bist mir gefolgt?«, flüsterte Seth.
»Zum Fluss. Und in den Fluss. Nach London …«
Seth schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Du bist mir nach London gefolgt?«
»Ja, dir und dem großen Typ. Doch dann habe ich dich aus den Augen verloren und wäre beinahe von einem Motorrad überfahren worden, und dann …«
»Ich hätte wissen sollen, dass du es herausfindest. Aber Matt, es hätte dich töten können. Wenn wir reisen, sind wir nicht mehr unsterblich, und die Welt, in die du mir gefolgt bist, ist so anders als hier. Ich hatte schon jede Menge Informationen, ehe ich das erste Mal allein dort war. Hattest du nicht schreckliche Angst?«
»Und ob!«, antwortete Matthias lächelnd. »Aber jetzt sag schon: Hast du das Mikroskop gefunden? Ich platze vor Neugier.«
»Ja, ich habe es tatsächlich gefunden.«
»Und?«
»Was, und?«
»Hast du etwas herausgefunden?«
Seth schüttelte den Kopf. Das Mikroskop war ihm im Augenblick vollkommen egal. »Nein, ich kann dir keine Antworten liefern, nur weitere Fragen.«
»Fragen?«
»Andere Fragen. Neue Fragen.«
»Welche denn, Seth?«
Seth sah seinen Freund an. Matt war von Anfang an für ihn da gewesen, doch konnte er diese Erfahrungen mit ihm teilen? Schließlich hatten sie einen Vertrag geschlossen. Wenn Seth jetzt von ihr erzählte, brach er den Bund, der sie beide so viel gekostet hatte.
»Ich … ich kann nicht wieder dorthin zurück«, flüsterte er schließlich.
»Was ist geschehen, mein Freund?«, fragte Matthias.
Seth musste es riskieren. »Ich habe sie gesehen«, sagte er sehr leise. »Sie war da.«
»Wer?«, fragte Matthias, der es nicht wahrhaben wollte.
»Wer schon? L-Livia.«
»Aber Seth, das kann nicht sein.«
»Stimmt, es kann nicht sein, trotzdem war es so.«
Seth versuchte, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. »Ich verstehe es auch nicht, aber sie war da. Mit einem anderen
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