Toedliches Fieber
hier die nervöse Neue gewesen war. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte dem Jungen über die unsichtbare Grenze in den Klassenraum geholfen. Doch ich durfte auf keinen Fall riskieren, mit einer solchen Aktion aufzufallen. Ich hielt mich besser im Hintergrund.
Die Sorge hätte ich mir sparen können. Ruby stand direkt hinter ihm. »Hallo, alle mal herhören! Das ist Seth Leontis! Seth – das ist der Biokurs!« Sie machte eine ausholende Geste, um ihm das Labor zu präsentieren. »Komm, setz dich!«, sagte sie, zog ihn besitzergreifend an einen Tisch und klopfte auf den Stuhl neben ihrem. Doch bevor er sich setzen konnte, kam Dr. Franklin.
»Entschuldigung, ich bin ein bisschen spät dran. Ah, gut – wie ich sehe, kümmern Sie sich schon um unseren neuen Schüler, Ruby. Das ist Seths erster Tag hier, also seid bitte nett zu ihm.«
Seth lächelte Dr. Franklin an und ließ dann kurz den Blick durch die Klasse schweifen.
Als er mich sah, hielt er inne und machte große Augen. Mein Mund wurde trocken.
Rasch senkte ich den Blick. Mein Herz raste – warum nur?
Bis zum Ende der Stunde vermied ich jeglichen Augenkontakt, trotzdem konnte ich mich kaum auf die pathogenen Mikroben konzentrieren, die wir gerade durchnahmen.
Er erinnerte mich an jemanden, aber ich hatte keine Ahnung, an wen. Wenn wir uns wirklich schon mal getroffen hätten, hätte ich ihn wohl kaum vergessen. Er hatte außergewöhnliche Augen – dunkelblau und leuchtend – und er bewegte sich erstaunlich anmutig für seine Größe. Im Gegensatz zu den meisten anderen hier hielt er sich gerade. Sein Gesicht bewies, dass er nicht älter war als wir, und doch wirkte er nicht wie ein Jugendlicher.
Ich hätte ihn wirklich gern angesehen, um meine Beobachtungen zu überprüfen (rein im Sinne der Wissenschaft natürlich), doch ich wagte es nicht. Stattdessen versuchte ich mit aller Kraft, an pathogene Mikroben zu denken.
Endlich läutete es zum Mittagessen. Ich packte meine Sachen und warf einen kurzen Blick nach hinten – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Ruby den neuen Jungen aus der Tür schob. Das versetzte mir einen kleinen Stich – wieso eigentlich? Nein. Oh nein! Und noch mal nein!
»Jetzt komm, Eva, sonst sind wir die Letzten in der Essensschlange!« Rob war stehen geblieben und wartete auf mich. Ich stopfte meinen Laborkittel in die Tasche und stand auf. Dann gingen wir zum Mittagessen.
Ich steckte mir gerade den letzten Bissen Lasagne in den Mund, als Louis und George an unseren Tisch kamen.
»Eva – es ist schon fast halb zwei!«
»Super, Jungs, ihr könnt die Uhr lesen.«
»Ha ha! Schon mal was von Proben gehört?«
Hilfe – Hamlet! Ich trank mein Wasser aus, stellte das Tablett ab und folgte ihnen zur Probe.
Dr. Kidd stand auf einer Leiter und reparierte einen Scheinwerfer, als wir auf die Bühne kamen. »Wärmt euch schon mal auf, ich komme gleich«, rief er uns zu.
Keiner fand es peinlich, auf der Stelle zu laufen oder mit den Armen zu wedeln – Übungen, mit denen man sich überall sonst blamierte.
»Kaum zu glauben!«, sagte Dr. Kidd. »Alle da. Das ist rekordverdächtig. Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass wir das Stück nächste Woche vor der ganzen Schule aufführen?«
Mir wurde übel. Argh! Würde ich das schaffen?
Ich konnte mich erst mal beruhigen, weil Dr. Kidd mit zwei Szenen anfing, in denen ich nicht auftrat. Deshalb setzte ich mich in den Zuschauerraum und ließ die Gedanken schweifen.
Wer war dieser geheimnisvolle Seth? Wieso tauchte er plötzlich mitten im Schuljahr auf? Und die wichtigste Frage: Was stellte er mit meinem inneren Chi an?
»Eva, wenn du dich dazu herablassen könntest …«
Ich kehrte in die Gegenwart zurück, zu Dr. Kidd. Seine Geduld war deutlich strapaziert.
»Uups, sorry, Dr. Kidd.«
»Schön, dass du jetzt bei uns bist … Die Wahnsinns -Szene, bitte!«
Er hatte mir die Rolle der Ophelia gegeben, Hamlets Freundin (oder so), eine von vielen, die in dem Stück durchdrehen. Ich wusste nicht, wie ich diese Besetzungsentscheidung deutensollte, aber ich gab mir Mühe, der Herausforderung gerecht zu werden. In aller Öffentlichkeit wahnsinnig zu werden, war nicht leicht. Schon gar nicht so hemmungslos, wie Dr. Kidd sich das vorstellte. Doch Ophelia brachte eine Saite in mir zum Klingen – es war ihre Hilflosigkeit, würde ich sagen. Sie steckte in einer Welt fest, über die sie keine Kontrolle hatte, und das konnte ich gut nachvollziehen.
Ich versuchte,
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