Toedliches Konto
denn so konnte ich gestern mit Ina vereinbaren, dass wir endlich mal eine ganze Nacht zusammen verbringen könnten. Ina würde mich am Freitagabend - also morgen - besuchen, um auch einmal meine Wohnung kennen zu lernen, und dann würden wir zu ihr gehen, was mir irgendwie sicherer erschien. Darauf freue ich mich schon sehr. Allerdings würde ich ihr dann auch endlich sagen müssen, dass ich Diabetiker bin und mir jeden Tag nach einer Messung Insulin spritzen muss. Das könnte ich nicht länger verheimlichen, wenn wir praktisch einen ganzen Tag zusammen verbringen würden. Aber das erschien mir nicht wirklich als Problem, denn Ina war so verständnisvoll und liebevoll, und außerdem ist diese Diabetes-Erkrankung, die ich seit dem 20. Lebensjahr habe, keine wirkliche Einschränkung in meinem Leben. Nur für mich selbst ist es manchmal etwas lästig. Und Essen und Trinken muss ich wohl dosieren und beim Spritzen berücksichtigen.
Das Schicksal meint es anscheinend gut mit mir. Denn Vera will ebenfalls morgen am Nachmittag zurückkommen, da übers Wochenende noch eine Schwester bei ihrer Mutter bliebe, die inzwischen wieder zu Hause sei. So kann ich die Kopie noch bei Vera abholen, bevor Ina zu mir kommt. Und am Samstag werde ich die Kopie bei Günther vorbeibringen, bevor ich am Nachmittag zu mir in die Wohnung zurückgehe. Dann möchte ich mit diesem Fall nichts mehr zu tun haben wollen. Endlich lichten sich die dunklen Wolken.
2
Die Aprilsonne schien schon angenehm vom Himmel, und obwohl es erst kurz vor halb acht und die Luft noch etwas kühl war, hätte Kurt Egger am liebsten in das Gezwitscher der Vögel eingestimmt. So sehr genoss er diesen Frühlingsmorgen. Obwohl er erst Anfang 50 war, hatte er doch schon vor Jahren in jedem Frühling diesen komischen Gedanken, sich zu fragen, wie viele Frühlingserwachen er in seinem Leben wohl noch vor sich habe. Allerdings nahm er diese Frage selbst gar nicht so ernst, denn er war sich sicher, dass es noch recht viele sein würden. Es war einfach Ausdruck seiner Freude über diese schöne Jahreszeit, dass er zumindest in Gedanken eine Jahreskerbe in einen virtuellen Baumstamm schnitzen musste.
Ja, die Welt war so schön, und in diesen Momenten konnte Egger es schwer verstehen, warum er sich im Beruf nur mit dem Tod beschäftigen musste. Aber er hatte es ja so gewollt. Natürlich hätte er auch ins Betrugs- oder Rauschgiftdezernat gehen können. Aber es musste unbedingt das Morddezernat sein. Die Alternativen erschienen ihm zu langweilig, zu schreibtischlastig. In der Praxis verbrachte er allerdings auch die meiste Zeit am Schreibtisch. Aber es war trotzdem spannender.
Es gab Fälle, in denen erschien ihm die Wirklichkeit dann aber doch recht grausam. Wie in dem jüngsten Fall, den sie vor zwei Tagen “rein bekommen” hatten. Diese bildschöne Frau, gerade mal 32 Jahre alt, sie hatte das Leben noch vor sich. Und sie hätte auch das Leben von anderen noch schön machen können. Aber jetzt war sie tot.
Als er ins Büro ka m, empfing ihn schon seine Kollegin Lena Kaufmann, mit der er in den meisten Mordfällen zusammen arbeitete. “Hallo Kurt, ich habe Neuigkeiten.”
Lena war Ende 30, geschieden, sah nicht übel aus, hatte aber den Hang, sich gerne in den Mittelpunkt zu schieben. Da Kurt ebenfalls geschieden war, hatte er sich schon manchmal gefragt, ob er mit Lena neben der beruflichen Beziehung auch eine private Bindung haben möchte. Einerseits übte sie halt doch immer wieder - als Frau - einen gewissen Reiz auf ihn aus, aber andererseits mochte er auch nicht zu viel Lena in seinem Leben haben. Und außerdem war sie seit zwei Jahren mit Gero vom Betrugsdezernat befreundet. Wahrscheinlich enger befreundet.
“Ich habe da eine merkwürdige Mail bekommen. Gero hat sie mir zugeschickt. Sie könnte mit unserem neuen Mordopfer zu tun haben. Vielleicht auch nicht. Es ist etwas verworren.”
“Versuch mal Klartext zu reden. Was hat dein Gero mit unserem Mordfall zu tun?”
“Das ist nicht mein Gero. Wir sind befreundet und gehen ab und zu mal zusammen aus.”
“Da wird schon noch etwas mehr sein.”
“Das geht dich einen feuchten Dreck an.” Lena grinste freundlich dabei, was ihren zuletzt etwas scharfen Ton milder erscheinen ließ. Typisch Lena.
“Also komm mal rüber an meinen Bildschirm. Ich habe da alles offen. Diese Mail kam gestern ohne speziellen Adressaten im Präsidium an.”
Kurt las das kurze Anschreiben:
“Diese Mail hat ein voraus gewähltes
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