Töte, Bajazzo
hinter ihr her, und er würde sie überall finden, deshalb war es besser, wenn wir hier, an einem bekannten Ort, auf ihn warteten, und das mußte ich auch Mirella klarmachen. Und sie würde erfahren, daß auch die Mutter nicht mehr am Leben war.
Ich ging dorthin, wo eine Lampe stand. Mirella nahm ich mit. Sie merkte kaum, daß ich sie in einen Sessel drückte. Das Licht strahlte nur unsere Umgebung an, so daß wir dort hockten wie auf einer Insel.
»Ich möchte Wasser…«
»Moment.«
Ich ging in die Küche, fand ein Glas, füllte mir ebenfalls eines und kehrte wieder zu ihr zurück.
Mirella wischte mit einem Tuch die Augen trocken. Sie schaute zu Boden. Ihr Gesichtsausdruck zeigte mir an, wie abwesend sie war. Ich stellte das Glas auf den Tisch. Sie nahm es nicht, sondern fing an zu sprechen, ohne mich allerdings anzuschauen. Nach wie vor hielt sie den Blick zu Boden gerichtet.
»Sie sind doch schon längst hier im Haus, John?«
»Das stimmt.«
»Haben Sie… nun ja, haben Sie sich umgesehen?«
»Sicher.«
»War er da?«
Ich wußte natürlich, von wem sie sprach. »Der Bajazzo«, murmelte ich, »ja, ich habe ihn gesehen. Er kam und wollte mich töten. Das heißt, ich sah sein Gesicht.«
»Nicht die Gestalt?«
»Nein. Gibt es die auch?«
Mirella hob den Kopf an. »Ja«, sagte sie, »es gibt diese Gestalt. Es gibt beides. Die Maske und den Körper. Ich komme damit nicht zurecht. Ich weiß nicht, wie ich es in die Reihe bringen soll. Beide sind so gleich und trotzdem so unterschiedlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie kann man das begreifen?«
»Ich habe auch noch keine Lösung.«
»Aber Sie sind gekommen, John.«
»Schon.«
»Dafür darf ich mich bei Ihnen bedanken.« Sie schaute mich direkt an. In ihren Augen lag ein derartiges Vertrauen, daß es mir schon peinlich war.
»Wissen Sie, Mirella, Sie haben mir diesen Brief geschrieben, und Sie haben mich so nett darum gebeten, Ihnen zu folgen, da konnte ich gar nicht anders.«
»Das hätte nicht jeder getan. Zudem kannten wir uns kaum. Nur ein paar Stunden haben wir miteinander geredet.«
»Es war aber ehrlich.«
»Von meiner Seite bestimmt.« Sie lächelte zuckend. »Wissen Sie, ich hatte sehr schnell Vertrauen zu Ihnen gefaßt, und wenn Sie mich nach dem Grund fragen, kann ich Ihnen den kaum nennen. Es ist einfach so gewesen, verstehen Sie?«
»Ja, auch bei mir.«
»Sie haben mich nicht für eine überdrehte Spinnerin gehalten? Für eine Diva mit Starallüren?«
»Nein, von Beginn an nicht. Ich verfüge über eine gewisse Menschenkenntnis, und ich habe gemerkt, daß Sie in Schwierigkeiten stecken. Da mußte ich mich einmischen.«
»Das kann ich nicht glauben, John.« Sie verzog den Mund. »Einfach so eingemischt?«
Ich wollte die Karten auf den Tisch legen und sie nicht länger im Unklaren lassen. »Nicht ganz, Mirella. Ich bin nicht der, für den ich mich Ihnen gegenüber ausgab. Da haben Sie schon richtig getippt. Ich heiße zwar John Sinclair, bin aber Polizist von Beruf und deshalb auch von Natur aus neugierig. Mich hat der Dienst nach Mailand geführt, aber das ist jetzt erledigt, so daß ich mich um Sie kümmern konnte, besonders nach dem Brief, den Sie mir geschrieben haben.«
»Es ist mein letzter Rettungsanker.«
»Das habe ich gemerkt.«
»Ich mußte es einfach tun«, flüsterte sie. »Ich brauchte jemand, dem ich Vertrauen entgegenbringen konnte. Und das sind Sie nun mal gewesen, John.«
»Und jetzt bin ich hier.«
Sie nickte. »Das hört sich an, als wollten Sie keine Fragen von meiner Seite mehr beantworten.«
»Das hat damit nichts zu tun, Mirella. Es geht um ganz andere Dinge. Wir können später darüber reden, aber vorerst müssen wir uns damit abfinden, daß man uns belauert. Der Killer kennt kein Pardon, er hat es bewiesen und dies… bitte, Mirella, ich muß es Ihnen sagen. Nicht nur bei Ihrem Vater. Ich war oben, ich habe im Schlafzimmer…« Meine Stimme versickerte, ich konnte nicht mehr sprechen, denn die Frau schaute mich mit einem Blick an, der besagte: Das-ist-doch-nicht-wahr…
Ich nickte.
»Tot?«
»Ja.«
Sie schloß die Augen. Sie trauerte, sie weinte still, ihr Gesicht zuckte, sie schluckte, und ich spürte eine Kälte auf und in meinem Körper.
Es war trotzdem richtig, was ich getan hatte. Sie hätte es sowieso erfahren müssen, und es war besser jetzt als später, wenn wir plötzlich in der Klemme steckten.
Sie weinte still. Ich fragte mich, wieviel Trauer ein Mensch überhaupt wegstecken konnte,
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