Töte, Bajazzo
Maßeinheiten, ohne eine Tiefe zu haben. Da bildeten sich die dunklen Bögen als Brauen über sehr schwarzen, tintigen Augen, die zudem ihre Hüssigkeit verloren. Sie rann an den leichenblassen Wangen entlang, bevor sie im dunklen Bart versickerten.
Der Bajazzo war nicht lustig, er war hineingedrückt worden in seine traurige Phase, er weinte sein Elend hinaus.
Aber konnte man Mitleid mit einem brutalen Killer haben?
Sicherlich nicht. Für mich stand er auf der Vernichtungsliste ganz oben, und ich würde es mit dem Kreuz versuchen. Es war das einzige Mittel, das, so hoffte ich, wirksam war.
Es kam anders.
Was mich erwartete, wußte ich nicht. Ich schaute hoch zur Decke, hörte das Lachen aus der Maske schallen, und entdeckte die Klinge über mir.
Sie raste nach unten.
Ich wuchtete meinen Körper zur Seite, krachte auf den Boden und sah, wie die Klinge dicht neben der toten Frau in das Oberbett hineinschlug, den Stoff dort aufriß und dafür sorgte, daß die Federn wie Schneeflocken in die Höhe wirbelten.
Auch das Messer schnellte wieder hoch.
Noch während der Bewegung drehte es sich um, um im nächsten Augenblick wieder in meine Richtung zu schleudern.
Ich rettete mich durch einen Sprung.
Die Klinge schlug genau in einen Spalt zwischen zwei Bohlen und blieb dort stecken.
Bevor ich nach dem Griff fassen konnte, jagte sie wieder hoch, und ich rechnete mit einem erneuten Angriff.
Der blieb aus, aber nicht, weil ich so gut war, sondern weil aus den unteren Räumen ein furchtbarer Schrei durch das Haus hallte, der nicht von einem Tier, sondern von einem Menschen abgegeben worden war.
Eine Frau hatte geschrien!
Ich schaute auf das Gesicht. Es war weg, ebenso wie das Messer. Beide hatten sich zurückgezogen und den Sprung in die andere Welt geschafft.
Der Schrei wiederholte sich nicht, aber mein Alarm bestand auch jetzt noch. So schnell wie möglich jagte ich die Stufen der Treppe hinab nach unten und fand dort Mirella Dolera…
***
Sie lag quer über der männlichen Leiche, sie weinte, und sie streichelte dabei die Wangen des Toten, während sie immer wieder von ihrem Vater redete.
Ich beging nicht den Fehler, sofort auf Mirella zuzueilen. Ich wollte sie zunächst mit ihrer großen Trauer allein lassen, zudem nicht erschrecken, und ich kam mir vor wie jemand, der die Funktion eines Leibwächters übernommen hatte, denn ich sicherte die Umgebung ab.
Es bestand keine unmittelbare Gefahr für uns. Ich sah weder ein Gesicht noch ein Messer, aber ich wußte auch, daß ich jetzt auf der Todesliste des Clowns ganz oben stand.
Mirella weinte und sprach zugleich. Sie sagte dem Toten so viel. Ich verstand nicht alles, aber sie machte sich Vorwürfe, ihn so oft allein gelassen zu haben. Jetzt war es zu spät, um noch etwas in die Reihe zu bekommen.
Ihre Trauer war verständlich, zu lange konnte ich sie mit diesem Gefühl nicht allein lassen. Unser heimtückischer Feind hatte den Gong zur letzten Runde geschlagen. Es lag auf der Hand, daß wir seine nächsten Opfer sein sollten.
Mirella hatte mich weder gehört noch gesehen. Sie reagierte auch nicht, als ich dicht hinter ihr stehenblieb. Erst nach meiner leisen Ansprache zuckte sie zusammen.
»Mirella…«
Das Weinen hörte nicht auf, dafür verharrte sie in ihrer Bewegung. Ich räusperte mich leise, einen Schock hatte sie glücklicherweise nicht bekommen, und sie drückte ihren Körper hoch. Sehr langsam drehte sie sich um.
Ich schaute in ihr verweintes und verquollenes Gesicht, sie sah mich an, und ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt durch den Tränenschleier erkannte.
»Okay, ich bin hier«, sagte ich nur.
»John…?« Sie setzte eine Frage hinter meinen Namen, als könnte sie es nicht glauben.
»Ja… wer sonst…?«
Mirella schluchzte vor Erleichterung. Sie wischte über ihre Augen, knetete die Wangen.
Ich streckte ihr meine Arme entgegen.
Mirella Dalera verstand die Geste. Sie ließ sich gegen mich fallen. Ich fing sie auf, preßte sie an mich. Sie war zu einem zitternden Bündel Mensch geworden. Plötzlich redete sie sehr schnell, und dabei weinte sie wieder.
Ich ließ sie in Ruhe. Der tote Vater lag genau in meinem Blickfeld.
Allmählich hatte die Dunkelheit die gesamte Halle erfaßt, und seine Gestalt verschwamm immer mehr in der Schwärze. Sie sah beinahe so aus, als würde sie sich auflösen.
Auch ich hätte Mirella gern an einen sicheren Ort gebracht. Aber gab es den überhaupt? Ich konnte es nicht glauben. Der Killer war
Weitere Kostenlose Bücher