Töte, Bajazzo
Regal mit zahlreichen Büchern und ein breites flaches Bett.
Ich ging weiter.
Ein Bad, sehr geräumig, konnte von zwei Seiten betreten werden. Ich ging über die Kacheln hinweg und öffnete die zweite Tür. Wie ich angenommen hatte, befand ich mich in einem Schlafzimmer. Die Umrisse der Betten waren schattenhaft zu sehen.
Meine Hand suchte den Lichtschalter, weil die aus dem Bad fallende Helligkeit nicht ausreichte, als ich einen Geruch wahrnahm, der mir überhaupt nicht gefiel. So roch Blut…
Ich schluckte.
Sekunden des Zögerns, dann schaltete ich das Licht ein und sah mit brutaler Deutlichkeit das nächste Opfer des Killers.
Es war eine Frau.
Mit ausgebreiteten Armen und Beinen lag sie quer über dem Ehebett. Ihr graues Haar hing ihr wie ein Schleier über das Gesicht und ließ nur den Mund frei, der offenstand. Wie zum letzten Schrei, aber den hatte sie wohl nicht mehr ausstoßen können.
Mein Magen zog sich zusammen. Zuerst der tote Mann, jetzt die Frau, wobei ich davon ausging, daß es die Eltern der Mirella Dalera gewesen waren.
Als wollte ich die Tote nicht stören, ging ich mit sehr leisen Schritten auf das Bett zu. Die weiße Bettwäsche hatte eine rote Färbung bekommen, und die Frau war auf die gleiche Art und Weise umgebracht worden wie ihr Mann.
Ich stand da und fühlte die Wut ebenso in mir hochsteigen wie die Hilflosigkeit. Auch für mich war es noch immer schlimm, mit dem Tod konfrontiert zu werden, und ich mußte daran denken, daß ich ihm im letzten Augenblick oft genug von der Schippe gesprungen war.
Wer hatte das getan?
Das Gesicht, die Maske? Sie war in diesem verfluchten Fall der absolute Schlüsselpunkt. Um sie drehte sich alles, und ihretwegen waren auch die Eltern ermordet worden.
Auch diese Leiche war noch warm. Ich wünschte mir, den verfluchten Mörder in meiner Nähe zu haben, um ihn vernichten zu können.
Und er war da.
Ich sah ihn nicht, ich hörte ihn.
Es war der Gesang, der leise, tragisch und trotzdem schaurig durch den Schlafraum wehte.
Die Arie des Canio, der große Prolog des Bajazzo, aber verfremdet, denn den Originaltext kannte ich mittlerweile.
Lache, Bajazzo – hieß es.
Das sang er nicht.
Ich lauschte noch einmal nach, weil ich sicher sein wollte, mich nicht geirrt zu haben. Da war es wieder. »Töte, Bajazzo…«
Immer wieder dieser eine Satz nur. Er veränderte ihn nicht, er sang auch den normalen Text nicht weiter. Es blieb bei dieser einen Stelle, und der unheimliche Sänger kam mir vor, als wollte er sich Mut machen oder seine nächsten Taten ankündigen.
Auf meinem Rücken fror die Gänsehaut ein. Ich glaubte nicht, daß noch andere lebende Personen sich in dem Haus befanden, demnach galt der Gesang einzig und allein mir.
Er wollte mich töten!
Ich trat einen Schritt vom Bett weg und schaute mich um. Zwischen Bett und Fenster hatte ich mehr Bewegungsfreiheit. Ich wollte zudem herausfinden, aus welcher Richtung der Gesang kam, aber er war dabei zu verstummen. Er ging unter und endete in einem Lachen und Weinen zugleich. Der Prolog war beendet, das Spiel konnte beginnen.
Das Drama um Mord und Totschlag!
***
Ich bewegte nur meine Arme, als ich nach der Kette am Hals tastete, an der das Kreuz hing. Behutsam zog ich es unter dem Hemd hervor und ließ es für einen Moment auf der Handfläche liegen. Ich spürte die Sicherheit, die es ausstrahlte, und dieses Gefühl ging dabei auch auf mich über. Wenn das Gesicht erschien, würde ich es mit einer geweihten Silberkugel nicht vernichten können, denn es war feinstofflich und setzte einem Geschoß keinen Widerstand entgegen.
Es war ein helles Licht, das mich erreichte. Ein trüber, weicher Schein flutete durch den Schlafraum und legte sich auch als Schleier über die tote Frau.
Und genau über ihr tanzte der Fleck!
Im ersten Moment nach der Entdeckung bewegte ich mich nicht. Ich war zwar nicht geschockt, aber doch überrascht, denn zum erstenmal zeigte er sich mir. Bisher kannte ich ihn nur aus den Erzählungen der Sängerin, nun aber schaute ich gegen diesen hin- und herzuckenden Fleck, der noch formlos war und mehr wie ein fernes, von dünnen Wolken umspieltes Gestirn wirkte.
Keiner von uns tat etwas. Auch ich hielt mich mit einem Angriff zurück, weil ich wollte, daß sich das Gesicht so zeigte, wie es tatsächlich war.
Und das Innere dieser Erscheinung festigte sich. Die Konturen wurden härter und straffer, aber es kam mir noch immer sehr flach vor, als bestünde es nur aus zwei
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