Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
nichts mehr hinterfragt wird.“ Freundschaftlich klopfte Ramon Llul ihm auf die Schulter. „Es ist wie bei uns, wenn das Innenministerium einen Fall übernimmt, senkt sich ein Nebel des Schweigens und Vertuschens über jeden Fall! Da geht es dann um Seilschaften, Beziehungen, Abhängigkeiten bis in die höchsten Kreise – mir wird speiübel, wenn ich nur daran denke. Aber so ist das Leben, wir ermitteln und sie vertuschen!“
„Da könntest du Recht haben.“ Mürrisch trank Braun sein Bier aus. „Aber was soll’s, ich bin hier, weil Anna Lange in Gefahr ist.“
Er verfiel in ein düsteres Schweigen und spürte, wie ihm langsam das Bier in den Kopf stieg und seine Gedanken wattig und unscharf wurden.
„Ruhe dich aus, Tony“, sagte Ramon Llul, dem seine Lethargie aufgefallen war, „du siehst ziemlich mitgenommen aus! Die Pension, die ich dir empfohlen habe, liegt nur drei Straßen weiter. Ich rufe dich später an, dann kommst du am Abend zu Francisca und mir zum Essen. Sie freut sich darauf, dich endlich wiederzusehen.“
Ramon Llul stand auf, winkte dem Kellner, noch ehe Braun protestieren konnte.
„Das zahle ich! Hier in Palma bist du mein Gast.“ Nach einem Blick auf die Uhr hatte er es plötzlich eilig.
„Ich muss die Drillinge von der Musikschule abholen“, sagte er zu Braun, umarmte ihn und verschwand in der Touristenmenge, die sich über die Ramblas Richtung Innenstadt wälzte.
Braun beneidete Ramon Llul. Er hatte eine Familie, einen festen Tagesablauf, eine Frau, die ihn liebte, und Kinder, die er von der Musikschule abholen konnte. Ramon Llul war ehrgeizig, aber seine Familie ging immer vor. Bis jetzt hatte Braun immer gedacht, die Polizei sei seine Familie, doch nun war er sich nicht mehr so sicher. Vielleicht war er dazu verdammt, immer alles zu verlieren. Seine Frau, seinen Sohn, Hajek und jetzt auch Anna Lange. Bei dem Gedanken an sie wurde ihm plötzlich siedendheiß: Ich habe keine Ahnung, wie ich sie erreichen kann!, dachte er und wählte die Nummer von Richard Marx in Linz.
„Schon was von Anna gehört?“, fragte er mit langsamer Stimme.
„Du klingst so merkwürdig, ist alles in Ordnung bei dir?“ Richard klang ehrlich besorgt.
„Ja, ja, nur ein bisschen heiß hier! Also, was sagt sie?“
Richard informierte Braun in aller Kürze über das Gespräch, das er mit Anna geführt hatte.
„Scheiße!“, fluchte Braun, als Richard ihm von Annas euphorischer Stimmung berichtete. Mit leicht zittrigen Fingern notierte er dann Annas Handynummer, wählte diese und hinterließ ein unfreundliches „Melde dich dringend!“ auf ihrer Mailbox. Nach einem weiteren Bier griff er nach der Custo-Umhängetasche, nicht ohne zuvor einen Blick auf die Pistole geworfen zu haben, die Ramon Llul ihm besorgt hatte. Mein einziger Freund!, dachte er melodramatisch und wog die in einen Schal eingewickelte Waffe in seiner Hand.
Tony Braun hatte keine Augen für die schönen historischen Gebäude, für die die Altstadt von Palma berühmt war. Er interessierte sich weder für die fein gearbeiteten gläsernen Erker noch für die vielen kleinen Bars und Cafés. Er musste ständig an Anna denken, die sich in großer Gefahr befand. In ihrer Naivität ahnte sie nicht, worauf sie sich eingelassen hatte. Alex Huber war ein Betrüger, soviel stand für ihn fest. Wenn ihm Anna auf die Schliche kam, würde der wahrscheinlich nicht lange zögern und sie einfach ausschalten. Aber wie konnte er sie in einer Stadt wie Palma finden? Die einzige Spur, die er hatte, war der Palast von Igor Drakovic.
Nach längerem Suchen hatte er endlich die Calle Portella erreicht, die auf einer Straßenseite nur aus dem riesigen Palast bestand. Deshalb hatte Ramon Llul auch sofort gewusst, dass es eines der gewaltigsten Bauwerke von Palma in einer phänomenalen Lage war. Er lehnte sich an die gegenüberliegende Hausmauer, legte den Kopf in seinen Nacken, um die Dimensionen des Palastes auf sich wirken zu lassen. Auf der Straßenseite gab es nur in den obersten Stockwerken kleine Fenster, ansonsten ein riesiges, holzgeschnitztes Tor und ein unpassend moderne Eingangstür aus Aluminium mit einem LCD-Display und einer Kamera. Die Längsseite des Palastes reichte bis zur nächsten schmalen Querstraße, die ein Schild als „Privado“ auswies. Auch dort gab es keine Fenster, nur zwei Tore mit metallenen Rollläden.
Er stand einige Minuten regungslos im Schatten der gegenüberliegenden Hausmauer, dann stieß er sich von der Wand ab, ging
Weitere Kostenlose Bücher