Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
dem Finger an. „Peng!“ Üzkül krümmte den Zeigefinger und verschwand wieder in der Menge.
Mit der rechten Hand fasste Bogdan Drakovic das Kinn von Stanislaus Lange, drehte seinen Kopf zur Seite und zischte wütend: „Üzkül will Ende der Woche sein Geld. Du bist pleite. Ich will Bewegung in der Bauverhandlung, klar! Wir können nicht ewig auf die Bewilligung warten! Mein Vater ist schon sehr wütend und ich bin es auch!“
Drakovic machte eine Pause, atmete tief durch, starrte auf den Dancefloor, wo Flash God noch immer regungslos lag, spuckte verärgert auf den blutigen Rücken und drehte sich wieder zu ihm.
„Was soll übrigens das ganze Gerede, deine Tochter will nichts von dir wissen? Du sorgst dafür, dass in den nächsten Tagen ein Termin mit ihrer Agentur zustande kommt!“
Stanislaus Lange nickte, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, wie er das mit seiner Tochter und der Agentur bewerkstelligen sollte.
Doch irgendwie ging immer alles, irgendwie konnte er die Fassade von Rechtschaffenheit und Seriosität noch aufrechterhalten, irgendwie ging das Leben weiter, irgendwie würde er auch die Probleme mit seiner Tochter Anna lösen und irgendwie war er dazu verdammt, für seine Sünden zu büßen …
Thanatografie: Die Küche
Der Tod ist schön, diktieren mir die Stimmen. Der Tod ist schön, so stimmen sie mich ein. Der Tod ist schön, wiederhole ich und denke an die durchschnittene Kehle, das viele Blut, die durchtrennten Muskeln, Sehnen, Nerven, den panischen Blick. Der Tod ist schön! Da bin ich sicher, denn sein Todesblick war schön, er hat die andere Seite gesehen, den Fluss und alles, was dazugehört. Der Tod ist schön, habe ich als Melodie im Kopf. Töte ich, so kehre ich zu den Ursprüngen zurück, zu jenen Ereignissen, die eine Maschinerie der Auslöschung in Gang gesetzt haben. Das Ziel ist klar umrissen. Der Tod ist schrecklich! Der Tod ist schrecklich!, flüstern sie plötzlich, aber ich muss trotzdem diese Thanatografie, diese Chronologie des Todes fortsetzen.
Ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Ich zoome die Gegend heran, das kleine Dorf in der Nähe von Kijevo, das schäbige Haus mit abblätterndem Verputz, die niedrigen Zimmer, die verrauchte Küche.
Der Herd, aus schwarzem Gusseisen mit der abgeschlagenen Chromumrandung, die eigentlich eine Schiene war. Darauf wurden die verschiedenen Tücher getrocknet. Oben die schwarze Fläche mit den Kochstellen. Die Ringe, die mit dem eisernen Haken abgenommen werden konnten, um die Hitze beim Kochen zu verändern. Simpel und praktisch, keine Sensoren, keine Elektronik, nur Eisen und Holz.
Der Dampf, der aus den brodelnden Töpfen aufstieg, sich an der Decke verflüchtigte, dunkle Flecken hinterließ, oder war es Russ? – ich weiß es nicht mehr.
Doch das brodelnde Wasser sehe ich vor mir, die glänzenden Töpfe, der ganze Stolz meiner Mutter, silbrig glänzend, oben mit einem scharfen überlappenden Rand und zwei schweren Griffen aus schwarzem Plastik, darauf der Deckel. Der klapperte, wenn das Wasser kochte, oben ein runder Knauf, schwarz, auf der Rundung mit dem geprägten goldenen R – Royal.
Dunstig und feucht war es in der Küche, groß in der Erinnerung, klein in der Realität, würde ich die Küche jetzt wieder betreten – aber das wird niemals der Fall sein.
Der Tisch mit dem Wachstischtuch, fleckig, eingerissen, das Ornament schon verblichen, durch vielfaches Wischen beinahe verschwunden. Die abgeschlagenen Tassen. Schwarz verfärbte Messer und Gabeln – wahrscheinlich noch von Großmutter.
Vater sitzt am Tisch und liest die Zeitung, das Radio pfeift, den Fernseher haben wir längst verkauft – hier im Ort gibt es keine Arbeit mehr, jeder muss sehen, wie er über die Runden kommt, das Nötigste für seine Familie auftreibt.
„Die Kämpfe sind weit weg“, sagt Vater und blättert um. Schwarze Fingerkuppen, vom ständigen Umblättern. Die Kämpfe sind weit weg – dass ich nicht lache. Jetzt, aus der Distanz weiß ich es natürlich besser, aber damals, damals habe ich meinem Vater geglaubt und mich sicher gefühlt. Jetzt weiß ich: Sicherheit ist tödlich.
6. Linz: Der dritte Tag
Das Telefonat zwischen Anna Lange und ihrem Vater Stanislaus war alles andere als erfreulich gewesen. Euphorisch und mit der einstudierten Überzeugungskraft eines Politikers hatte er zunächst allgemeine Themen abgehandelt und ihr zu einem Porträt in einem Lifestyle-Magazin gratuliert.
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