Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
mehr!, insistieren die Stimmen, als ich mich über sie beuge, den Ärmel der Jacke nach oben schiebe, dann aber zögere ich. Der Arm ist so dünn und zerbrechlich, überhaupt, wie sie auf dem Boden liegt, so unendlich hoffnungslos, so ohne Zukunft, mit verdrehten Augen, als wäre sie tot! Aber sie atmet noch, ich spüre ihren Pulsschlag durch die dünne, blau geäderte Haut wie zarte, abgehackte Trommelschläge, wie ein letzter Hilfeschrei und ich kann mich nicht entscheiden.
Fehler sind das Schlimmste!, beginnen die Stimmen jetzt von Neuem und der Satz „Fehler sind das Schlimmste!“ steigert sich zu einem gewaltigen Chor, der durch meinen Kopf heult und in den Ohren gellt. Ich merke, dass sie mein Zögern nicht verstehen können, nicht akzeptieren wollen! Es ist der falsche Ort, beruhige ich mich, die falsche Zeit!, murmle ich, während ich alles bereitlege und gehorsam an die Arbeit gehe.
Ein Kollateralschaden, jawohl! Sie hat dich in Prag gesehen, assistieren mir die Stimmen, sie stand unter den Arkaden, als du das Gebäude verlassen hast, sie hat dein Gesicht gesehen, als du unter den Lampen davonspaziert bist, sie hat dich angelächelt, ihre Augen haben in der Sekunde des Erkennens aufgeblitzt, ist es nicht so? Natürlich habe ich meine Zweifel, aber so wie sie es schildern, könnte es tatsächlich gewesen sein und diese Zweifel freuen sie, ich bin mir nicht mehr sicher und das spüren sie!
Keine Fehler mehr! Das ist ein Befehl, den sie mir geben. Keine Fehler mehr! Willst du alles gefährden? Natürlich nicht! Also sage ich Kollateralschaden, es gibt immer einen Kollateralschaden. Bist nicht auch du ein Kollateralschaden?, erinnern sie mich und schnipp!, Blut, Staub, Dreck und Tod sind wieder da und das Entsetzen und das Schlagen und das Ersticken spüre ich so, als würde es im Augenblick passieren.
Plötzlich stöhnt sie leise und sofort steche ich zu, sage Kollateralschaden und sehe, wie sie sich aufbäumt, ein letztes Mal alle Kräfte mobilisiert, einfach nicht akzeptieren will, dass sich der Fährmann schon auf den Weg macht, um sie zu holen, um sie überzusetzen. Ihre Arme und Beine zittern unkontrolliert, ja, das geht schnell, wenn der Blutkreislauf verseucht ist und sich das Herz nicht mehr auskennt und einfach aufhört zu schlagen!
Keine Fehler mehr!, sage ich und trete aus der Dunkelheit zurück ins Licht.
9. Linz/Prag: Der fünfte Tag
Die Tote lag zwischen zwei überquellenden Mülltonnen in einem verdreckten Innenhof eines halb verfallenen Bürgerhauses der Linzer Altstadt. Ihre Beine waren ausgestreckt, der Kopf leicht nach vorn auf ihre Brust gesunken. Über ihre blonden Haare, die mit roten Bändern zu hornartigen Zöpfen geflochten waren, krabbelten kleine Käfer, die in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne grünlich schillerten. Die dicke schwarze Schminke um die Augen der Toten war verschmiert, so als hätte sie geweint und sich dann mit dem Handrücken über die Lider gewischt. Ein Ärmel ihrer Lederjacke war hochgeschoben, der Einstich in der Armbeuge blau unterlaufen. Daneben auf dem Boden ein zerrissenes Halstuch mit dem Aufdruck Atelier Versace. In ihrer krallenartig verkrümmten Hand, die auf ihrem Schoß lag, hielt sie noch eine kleine weiße Einwegspritze.
„Klarer Fall von Drogentod.“
Tony Braun deutete auf den bläulichen Einstich und wandte sich zu Schuster, den Polizeiarzt.
„Was meinen Sie, Doc?“
„Sieht ganz so aus, Näheres gibt’s aber erst nach der Routineuntersuchung.“ Der Polizeiarzt tippte auf den Einstich, zog dann mit zwei Fingern die Augenlider der Toten auseinander, betrachtete die Augäpfel.
„Irgendeine Idee über den Todeszeitpunkt?“, fragte Braun und sah sich in dem verdreckten Innenhof um. Aber außer vermoderten Mauern und vernagelten Fenstern und Türen gab es nichts Auffälliges zu entdecken.
„Zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens, aber das ist nur ungefähr geschätzt“, antwortete Schuster und befühlte die Haut am Hals der Toten.
„Alles klar“, sagte Braun einsilbig und kniete sich wieder vor die Tote. Mit seinen Fingerspitzen schob er vorsichtig die Lederjacke auf.
„Teures Designerstück!“, rief er erstaunt, als er das Etikett sah.
Inspektor Dominik Gruber, der die lustlos arbeitende Spurensicherung dirigierte, steckte die Spritze und das Halstuch in kleine Plastiktüten.
„Na, wenigstens keine Designerspritze“, meinte Gruber mit Blick auf das teure Halstuch.
„Das Tuch hat sie zum Abbinden
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