Töwerland brennt
Bademäntel und vieles mehr.
Im ersten Raum war niemand, der Brandgeruch wurde jedoch intensiver.
Auch das Geraschel war deutlich zu hören. Heike nahm vorsichtig den kleinen
Handfeuerlöscher von der Wand, der in jedem der Räume hing und schaute um die
nächste Ecke: Leere Wäschesäcke lagen auf dem Boden. Neben einem der Regale war
ein Berg aus Handtüchern und Bettbezügen aufgetürmt. Und ihr Bruder Gerrit
kniete davor und bemühte sich, die Wäsche mit einem Grillanzünder in Brand zu
stecken. Es schien ihm nicht zu gelingen, die Wäsche glimmte und qualmte
lediglich. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis hier alles in Flammen
stand.
»Bis du wahnsinnig?«, brüllte sie ihren Bruder an.
Der sprang auf, fuhr herum und sah sie aus weit aufgerissenen Augen
an.
Heike erschrak. Gerrits Blick wirkte hektisch, fast irre.
»Es brennt nicht«, stammelte er und zeigte auf den qualmenden Wäscheberg.
»Es fehlt Sauerstoff. Oder Benzin.« Seine Stimme klang verwaschen. »Haben wir
Benzin im Haus, Heike?«
Sie war bestürzt – ihr Bruder war nicht mehr bei sich. »Mach das
sofort aus!«, befahl sie und versuchte, so streng wie möglich zu klingen.
»Aber das geht nicht«, erwiderte Gerrit. »Es muss brennen. Nur so
wird die Versicherung …«
»Lösch das Feuer, Gerrit. Es sind Gäste im Hotel. Du gefährdest
sie.«
Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein. Das siehst du falsch.
Wenn es hier richtig brennt, wecke ich alle auf und sie können das Hotel verlassen.
Keiner kommt zu Schaden. Die Feuerwehr rufe ich später.« Er ging leicht
schwankend auf seine Schwester zu, blieb dann stehen und stützte sich mit der
rechten Hand an einem Regal ab. »Was willst du mit dem Feuerlöscher? Es muss
brennen, hörst du nicht? Mutter hätte nicht gewollt, dass ich das Hotel
aufgeben muss. Und du bist meine Schwester. Wenn du mir nicht hilfst, muss
ich …« Er kam näher.
Erst jetzt bemerkte Heike, dass sich Gerrit kaum auf den Beinen
halten konnte. Er war völlig betrunken.
»Du musst mir helfen. Sonst …« Er hob die Hände und ballte sie zu
Fäusten. Dann machte er einen weiteren drohenden Schritt auf sie zu.
Heike sah an ihrem Bruder vorbei auf die qualmende Wäsche. An zwei,
drei Stellen züngelten die ersten kleinen Flammen empor. Wenn sie nicht
unverzüglich handelte, würde in Kürze alles lichterloh brennen. Aber Gerrit
stand zwischen ihr und dem Brandherd. Wie es aussah, würde er sie freiwillig
nicht löschen lassen.
Heike hob den Feuerlöscher, holte kurz aus und ließ die Flasche mit
voller Wucht auf den Kopf ihres Bruders krachen. Der sah sie einen Moment
verdutzt an, verdrehte dann die Augen und
fiel unmittelbar darauf wie ein Stein zu Boden.
Hastig überflog Heike die auf dem Gerät aufgedruckte
Bedienungsanleitung, drückte auf die Auslösevorrichtung und weißer Schaum
schoss aus der Löschdüse. Es dauerte nur Sekunden, bis das Feuer gelöscht war.
Dichter Qualm stand im Raum.
Hustend zog Heike ihren Bruder aus dem Kellerraum in den Hauptflur,
ließ ihn dort liegen, verriegelte die Tür
zum Wäschelager und nahm den Schlüssel an sich. Dann lief sie nach oben, um
Feuerwehr und Polizei zu informieren.
Eine Stunde später rückte die Feuerwehr wieder ab. Von einer
ausgiebigen Kontrolle der Brandstelle und dem Abtransport der verkohlten Wäsche
abgesehen, musste sie nicht mehr einschreiten.
Gerrits Kopfwunde war vom Sanitäter behandelt worden, und nachdem
ihm der Arzt ein Beruhigungsmittel gespritzt hatte, war er eingeschlafen. Er
würde die Nacht in Polizeigewahrsam verbringen und am nächsten Tag auf dem Festland
der Kripo übergeben werden.
Die überwiegende Zahl der Gäste des Sanddornhotels hatte von der ganzen Aufregung nichts mitbekommen und selig in ihren Betten
geschlummert. Diejenigen, die der Lärm doch geweckt hatte, erhielten Kaffee,
Saft oder, wenn sie es wünschten, auch ein Glas Sekt zur Beruhigung. Als sie
sich wieder zur Ruhe legten, war die ganze Angelegenheit für sie nur noch eine
spannende Urlaubsgeschichte, die sie zu Hause erzählen konnten.
Nur Heike fand in dieser Nacht keinen Schlaf mehr. Als sie endlich allein in ihrer Wohnung war, fragte
sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, Gerrit in dem Qualm liegen und das
Feuer brennen zu lassen. Auf jeden Fall hätte sie dann ein Problem
weniger gehabt.
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Nach der Verhaftung Gerrit Harms’ machte sich Enno
Altehuus keine Gedanken mehr über diesen Tohmeier, den Esch für den Schreiber
der Erpresserbriefe hielt.
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