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Töwerland brennt

Töwerland brennt

Titel: Töwerland brennt
Autoren: J Zweyer
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Heike
für die Buchhaltung zuständig war, kannte sie die prekären finanziellen
Umstände, in denen sie steckten, sehr genau.
    Neben den Konten bei den beiden Juister Banken gab es noch ein
weiteres bei einem Geldinstitut in Emden. Immer dann, wenn die finanzielle Lage
sich entspannte, beauftragte sie Gerrit damit, höhere Beträge von den Juister
Konten dorthin zu transferieren. Und umgekehrt gingen in kritischen Situationen
Zahlungen aus Emden ein. Da aber nur Gerrit und ihre Mutter
unterschriftsberechtigt waren, wusste sie nicht, wie viel Geld auf diesem
Bankkonto lag.
    Seit Jahren war ihr Bruder Mitglied in der Trachtentanzgruppe des
Juister Heimatvereins. Heute Abend probte diese im Haus des
Kurgastes neue Tanzformationen. Die Hupfdohlen ,
wie die Trachtengruppe mit freundlichem
Spott von den Juistern bezeichnet wurde, suchten nach ihrem Probeabend immer
gemeinsam den Stammtisch in der Spelunke auf.
    Natürlich hatte es Streit gegeben, als Heike erfuhr, dass ihr Bruder
nur einen Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter auf einen Tanzabend gehen
wollte. Ihre Vorhaltungen quittierte Gerrit mit eisigem Schweigen.
    Sie behielt ihren Bruder im Auge, bis er das Hotel verließ. Heike
wusste, dass solche Abende häufig erst in den Morgenstunden endeten. Es blieb
ihr also genug Zeit für ihr Vorhaben.
    Eine gute halbe Stunde nachdem ihr Bruder aufgebrochen war, nahm sie
den Generalschlüssel an sich, mit dem alle Türen
des Hotels zu öffnen waren – also auch Gerrits Apartment.
    Seine Wohnung lag in einem Anbau im
westlichen Bereich des Hotels, direkt über dem neuen Speisesaal, und war über
eine Außentreppe zu erreichen, die nur von den Dünen aus einsehbar war.
    Sie vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete, und stieg die
Treppe empor. Aufgeregt schob sie den Schlüssel in das Schloss. Was, wenn er es
ausgetauscht hatte? Ihre Bedenken waren jedoch unbegründet. Zwei Umdrehungen und die Tür war offen.
    Hastig schlüpfte sie ins Innere. Trotz der fortgeschrittenen
Dämmerung fand sie sich im Apartment gut zurecht und wusste, wo sie suchen
musste.
    Ihr Bruder war ein Pedant. Seine Unterlagen waren systematisch in
Ordnern abgelegt, die säuberlich beschriftet in einem kleinen Schrank aufbewahrt
wurden, auf dem der Fernseher stand.
    Bevor ihre Beziehung den Bach runtergegangen war, hatte Heike Gerrit
mit seiner Ordnungsliebe immer aufgezogen. Sie hatte gemeint, auf eine einsame
Insel brauche er keine Bücher, sondern
nur einen sehr großen Stapel Papier, einen Locher und sehr viele Ordner
mitzunehmen.
    Die Kontoauszüge fand Heike ohne langes Suchen und unterzog die des
laufenden und des vorherigen Jahres einer schnellen Überprüfung. Es war
desillusionierend. Insgeheim hatte sie gehofft, Gerrit die Unterschlagung von
größeren Geldbeträgen beweisen zu können. Stattdessen schrieb auch dieses Konto
tiefrote Zahlen. Barabhebungen gab es keine. Und ausnahmslos alle Transaktionen
fanden zwischen diesem und ihren Juister Konten statt. Nein, Gerrit verhielt
sich augenscheinlich völlig korrekt. Nur warum er dieses Konto unterhielt,
wurde ihr nicht klar. Aber spielte das eine Rolle?
    Als sie den Ordner wieder zurück an
seinen Platz stellte, fiel ihr ein dünner Schnellhefter auf, der nach hinten
gerutscht oder absichtlich dort versteckt worden war. Heike räumte drei
der Ordner beiseite und zog den Hefter hervor. Neugierig schlug sie ihn auf.
    Auf dem ersten Blatt fanden sich Gedichtfragmente. Ach was,
korrigierte sie sich sofort. Keine Gedichte. Limericks. Sie schlug die Seite
um. Weitere Verse, neue Zeilen. Auch auf der dritten Seite. Und der vierten.
Die Fortschritte waren unverkennbar. Gerrit hatte geübt, bis er die richtige
Form und den passenden Text gefunden hatte. Bis er Limericks schrieb, wie der
Erpresser. Was nur einen Schluss zuließ: Gerrit hatte die Briefe selbst
geschrieben!
    Und genau in diesem Moment fiel ihr
auch die Versicherungspolice ein, die sie bei den Unterlagen ihrer Mutter
gefunden und der sie keine Beachtung geschenkt hatte. Sie war neu ausgestellt
gewesen, wenn sie sich richtig erinnerte. Eine Versicherung gegen
Elementarschäden. Wie Feuer zum Beispiel. Und schlagartig wurde ihr
klar, was ihr Bruder plante.
    Sie hatte die Drohung Gerrits nicht vergessen. Und sie war sicher,
dass er sie ernst gemeint hatte. Aber jetzt hatte sie auch etwas gegen ihn in
der Hand.
    Sie schnappte sich den Hefter und verließ eilig die Wohnung. In
ihrem Büro kopierte sie jede Seite, lief dann zurück in das
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