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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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mehr.«
    »Abgrundtief beschissener Opportunismus«, wiederholte Reimar Dijkerhoff seine Einschätzung.
    »Das ist perfide!«, schloss sich Alexandre Ranchin an.
    »Perfide? Es ist gerechter als alles, was heute an Zuteilungskriterien existiert – weil es die Menschen im sozialen Zusammenhang bewertet.«
    »Perfide, weil man in dem Moment, in dem man etwas braucht, keinen Einfluss mehr auf den eigenen Wert hat. Das kettet einen an die Vergangenheit.«
    »Das tut die Digitalisierung ohnehin«, entgegnete Fünfgeld kalt. »So ziehen wir wenigstens einen kollektiven Nutzen daraus.«
    »Auf lange Sicht«, fuhr Pia unbeirrt fort, »sammeln Sie alle Menschen bei Myface ein, dann modifizieren Sie die Toggle-Formel, indem Sie jede Aktion, jede Bewegung, jede Äußerung bei Myface protokollieren und mathematisch operationalisieren. Zusätzlich beginnen Sie, die Güter der Welt aus dem Geldsystem herauszunehmen, um sie nur noch anhand der individuellen Menschenwerte zu verteilen … soll es so werden? Das wäre monströser als alles, was mein Kusin in seinem Buch über den digitalen Schatten vorhergesehen hat.«
    Jewgenij Jacob Fünfgeld schüttelte den Kopf: »Ich würde sagen: Nur realistisch … 600 Millionen Menschen haben sich schon jetzt bei Myface angemeldet, zehn Prozent der Weltbevölkerung! Das ist ein gewaltiges Potenzial. Vergessen Sie nicht, wie sehr es sich noch vergrößern wird, wenn sich das Verhältnis von Teilnehmern zu Außenstehenden weiter verschiebt.«
    »Es werden immer Außenstehende bleiben!«, mischte sich Joachim Sterzel nach langer Schweigepause wieder ins Gespräch.
    »Tatsächlich? Dann gibt es also heutzutage noch Menschen, die sich ein Leben außerhalb der Geldzusammenhänge leisten? Autarke Selbstversorger auf dem Lande? Nein, niemand wird sich abseits stellen können. Nicht in der industrialisierten Welt! Schließlich will jeder an den Segnungen einer hochproduktiven Warenwirtschaft teilhaben.«
    Sterzel verstummte eingeschüchtert.
    »Aber wer überwacht Ihr System?«, fragte Pia. »Doch wieder eine Führungselite?«
    Fünfgeld schüttelte den Kopf. »Das System erzeugt alle entscheidungsrelevanten Daten selbst. Stellt es eine gegebene Menge von Gütern fest, der ein bestimmter Bedarf gegenübersteht, kann es den ›Preis‹ wie auf einem klassischen Markt errechnen. Nur eben nicht mit Geld als Tauschmittel, sondern mit Menschenwert als Zuteilungskriterium. Es weiß immer, wie hoch ein Menschenwert sein muss, um eine Zuteilung zu erlauben.«
    Pia hörte nicht mehr richtig hin. Irgendetwas in ihrem unmittelbaren Umfeld lenkte sie ab. Etwas in der Größenordnung einer umherschwirrenden Mücke.
    »Und welchen Stellenwert nimmt die Intelligenz dabei ein?«, polterte Ranchin.
    »Denselben wie im Leben«, entgegnete der Oligarch ungerührt. »Den einer unwillkommenen Störvariablen.«
    Im äußersten Winkel ihres Wahrnehmungshorizonts registrierte Pia eine Bewegung. Ein Display blinkte unruhig auf. Absichtlich unbeholfen schlug sie die Beine übereinander und stieß an die Tischplatte, damit der Hörer des Bibliothekstelefons verrutschte. »’tschuldigung!«, machte sie und legte ihn wieder auf.
    Die Anweisung im Display war eindeutig.
    formel durch selbstbefragung zerstören
    »Sie entnehmen meinen Worten«, resümierte Jewgenij Jacob Fünfgeld, »dass sich meine Ziele mit denen der International Association of Supremacy nicht decken. Einer von beiden muss zurückstecken, und da Sie meine Autorität freundlicherweise anerkennen«, er deutete mit einem leisen Lächeln in Richtung seines Sekretärs, »werde ich die Vereinigung jetzt auflösen. Das lässt sich an diesem Ort natürlich nur symbolisch vollziehen, indem wir den Computer stilllegen. Bitte, Flüeli!«
    Der Schweizer umfasste seine Gyurza-Pistole mit beiden Händen, als stelle er einen schwerbewaffneten Gegner, und richtete die Mündung auf das Notebook.
    formel durch selbstbefragung zerstören
    Unerwarteterweise kam Reimar Dijkerhoff Pia zu Hilfe. Der Starphilosoph wuchtete sich aus seinem Lederfauteuil hervor, fixierte Urs-Albert Flüeli mit einem Blick, der jeden Studenten hätte in den Boden versinken lassen, und donnerte: »Giving up the gun!«
    Die Professorenrunde blickte irritiert drein.
    »Da hatten Sie mal einen lichten Moment!«, rief Dijkerhoff laut und spießte Alexandre Ranchin mit seinem Zeigefinger auf. »Sie erinnern sich? Dieser kleine, fade Triumph Ihres historischen Wissens über meine anthropologische

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