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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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häufig auch Personen beobachten, die mich gar nicht interessieren und die mir natürlich ein gewisses Maß an Deckung verschaffen, wenn sie weiter ihr zufriedenes, ahnungsloses Leben leben. Zudem vermeide ich es wann immer möglich, Harry den Namen der Zielperson zu nennen, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass ihm zu viele entsprechende Todesanzeigen auffallen. Doch einige von unseren Zielpersonen haben die Neigung, am Ende unserer Überwachung zu sterben, und ich weiß, dass Harry neugierig ist. Bis jetzt hat er keine Fragen gestellt, was gut ist. Ich möchte nicht auf Harrys Mitarbeit verzichten, und es täte mir Leid, wenn er zu einer Belastung für mich würde.
    Ich schob mich näher an Kawamura heran, bloß ein Pendler, der sich eine gute Position sichern will, um in den Zug zu kommen. Das war der kniffligste Teil der Operation. Wenn ich den verpatzte, würde Kawamura mich bemerken, und es würde schwierig werden, für einen zweiten Versuch noch einmal nahe genug an ihn heranzukommen.
    Meine rechte Hand tauchte in die Hosentasche und berührte einen von einem Mikroprozessor gesteuerten Magneten, etwa so groß und so schwer wie eine Vierteldollar-Münze. Eine Seite des Magneten war mit blauem Kammgarnstoff bezogen – einem Stoff, der dem von Kawamuras Anzug zum Verwechseln ähnlich sah.
    Falls nötig, hätte ich das Blau abgezogen, um eine graue Schicht freizulegen, denn das war die andere Farbe, die Kawamura gern trug. Auf der anderen Seite war der Magnet mit einer Haftbeschichtung versehen.
    Ich holte den Magneten aus der Tasche und barg ihn in der hohlen Hand. Ich würde den richtigen Moment abwarten müssen, wenn Kawamuras Aufmerksamkeit abgelenkt war. Leicht abgelenkt würde genügen. Vielleicht, wenn wir in den Zug stiegen. Ich löste den Wachspapierüberzug auf der Klebefolie, knüllte ihn zusammen und schob ihn mir in die linke Hosentasche.
    Der Zug tauchte am Ende des Bahnsteigs auf und kam auf uns zugerast. Kawamura zog ein Handy aus seiner Brusttasche und begann, eine Nummer einzutippen.
    Okay, jetzt. Ich schob mich an ihm vorbei, platzierte den Magneten auf seiner Anzugjacke knapp unterhalb des linken Schulterblattes und ging einige Schritte weiter den Bahnsteig entlang.
    Kawamura sprach nur wenige Sekunden ins Telefon, zu leise, als dass ich beim Quietschen der Bremsen etwas hätte verstehen können, und sobald der Zug vor uns zum Stillstand kam, schob er das Telefon zurück in die linke Brusttasche. Ich fragte mich, wen er wohl angerufen hatte. Es spielte keine Rolle. Zwei Stationen weiter, höchstens drei, dann würde es vorbei sein.
    Der Zug hielt, und die Türen öffneten sich, um eine menschliche Springflut auszustoßen. Als der Schwall sich zu einem Rinnsal verdünnte, brachen die Mauern, die zu beiden Seiten der Türen gewartet hatten, nach vorn und strömten ins Innere, als hätte jemand den Umkehrschalter eines gigantischen Staubsaugers gedrückt. Trotz der Lautsprecherwarnung – «Die Türen werden geschlossen» – pressten sich immer mehr Leute hinein, bis wir alle dicht gedrängt dastanden und uns nicht einmal an den Griffen über uns festhalten mussten, weil es nicht mehr möglich war umzukippen. Die Türen schlossen sich, der Wagen fuhr mit einem Ruck an, und wir rauschten davon.
    Ich atmete langsam aus und ließ den Kopf von einer Seite zur anderen kreisen, hörte das Knacken der Knochen in meinem Nacken, spürte die letzten Reste Nervosität verfliegen, als wir uns dem Finale näherten. So war es schon immer gewesen. Als Teenager hatte ich eine Zeit lang in einer Gegend gelebt, die von Schluchten durchzogen wurde, und bei einigen konnte man von den Klippen hinunter in tiefe Badeseen springen. Die älteren Kinder machten das ständig – und es sah gar nicht so hoch aus. Als ich jedoch das erste Mal dort hinaufkletterte und nach unten blickte, war ich fassungslos, wie hoch es war, und ich erstarrte. Aber die anderen Kinder sahen zu. Und in dem Augenblick wusste ich, dass ich springen würde, ganz gleich, wie viel Angst ich hatte, ganz gleich, was passieren mochte, und irgendein Teil in mir blendete meine Wahrnehmung vollständig aus, alles, außer der simplen Muskelbewegung des Vorwärtslaufens. Ich hatte keine andere Wahrnehmung, keinerlei Zukunftsvorstellung, die über diese raschen Schritte hinausging. Ich erinnere mich noch, dass ich dachte, es wäre sogar egal, wenn ich sterben würde.
    Kawamura stand vor der Tür an einem Ende des Wagens, etwa einen Meter von mir

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