Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
noch aus einem anderen Grund für die P232 entschieden: Bei ihr war weniger wahrscheinlich, dass das Geschoss Drano den Hinterkopf wegblies, was eine ganz schöne Schweinerei gegeben hätte.
Demeere zog mehrere Papiertaschentücher aus einer Schachtel auf dem Nachttisch, kniete sich neben Drano und stillte die Blutung, indem er das Papier mit dem Daumen in das Einschussloch drückte. Hilger nickte anerkennend. Demeere hatte nichts Prahlerisches an sich. Das hatte er nicht nötig; er war die Ruhe selbst. Wie viele Männer hätten eine Schweinerei so gelassen verhindern können, wie er es eben getan hatte?
Hilger hob die leere Patronenhülse auf und steckte sie in die Hosentasche, sicherte die Pistole und schob sie wieder ins Holster. Im Zimmer herrschte einen Augenblick lang Stille, während sie auf Geräusche lauschten, auf irgendein Anzeichen, dass jemand dem Knall auf den Grund gehen wollte. Es war nichts zu hören.
»Tja«, sagte Pancho schließlich, »ich bin froh, dass das erledigt ist. Wollte es schon selbst machen.«
Hilger nickte. »Ich hätte mich früher drum kümmern sollen.«
»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Pancho achselzuckend. »So was sollte man nicht überstürzen.«
Die Männer lachten. Nur Guthrie blickte verunsichert. Aber er war noch nicht so lange bei Hilger wie die beiden anderen. Dann sagte Hilger: »Wir fahren den Van vor, wenn wir hier fertig sind. Laden ihn ein, bringen ihn aufs Boot, durchlöchern ihn und versenken ihn im Meer. Zu viert sind wir besser dran als mit so einer Schwachstelle.«
Alle nickten. Demeere warf eine Decke über den Toten und setzte sich wieder aufs Bett.
»Hört mal«, sagte Hilger schließlich. »Was ich noch nicht gesagt habe: Dox ist nicht das endgültige Ziel. Sonst könnten wir uns Zeit lassen. Aber unser Interesse an ihm ist zweitrangig–«
Pancho beugte sich vor und senkte den Kopf, als wollte er zum Angriff übergehen. »Dann ist er ein Lockvogel?«
Hilger nickte. »Ein unfreiwilliger.«
»Wer ist das eigentliche Ziel?«, fragte Pancho.
Hilger blickte Demeere an, von dem er vermutete, dass er es bereits erraten hatte.
Demeere sagte: »John Rain.«
Pancho fixierte Hilger. »Der Einzelgänger? Der Typ, der Winters auf dem Gewissen hat?«
Hilger nickte. »Und auch Calver und Gibbons. Diese Verluste waren der Grund, warum ich so tief graben musste und eine Niete wie Drano mit ins Boot geholt habe. Gute Leute zu finden ist schwierig.«
Pancho richtete seinen Blick wieder auf Demeere. »Woher wusstest du das?«
Demeere schüttelte den Kopf, um zu signalisieren, dass er über keinerlei Informationen verfügte, die Pancho vorenthalten worden waren. »Ich wusste es nicht. Ich hab’s mir gedacht.«
Pancho ließ die Fingerknöchel knacken und blickte Demeere an, als würde er überlegen, wie glaubwürdig die Antwort des Mannes war.
Guthrie sagte: »Rain – das ist dieser japanische Auftragskiller, nicht?«
Demeere nickte. »Halb Japaner. Seine Mutter war Amerikanerin. Aber er sieht japanisch aus. Zumindest hab ich das gehört. Ich hab ihn nie gesehen. Nicht viele haben ihn gesehen.«
Hilger sagte: »Ich schon.«
Als Hilger Dox das dritte Mal engagiert hatte, lautete sein Auftrag, Rain zu eliminieren. Dox kannte Rain aus Afghanistan, und Hilger hatte gedacht, diese Verbindung würde es dem ehemaligen Scharfschützen leichter machen, nahe genug an die Zielperson ranzukommen, um den Auftrag zu erledigen. Er war tatsächlich nahe genug rangekommen, allerdings so nahe, dass Rain und Dox sich zusammengetan hatten und ihm dann binnen eines einzigen Jahres zwei Operationen vermasselt hatten. Schön, es war nichts Persönliches gewesen – keiner der beiden Männer hatte gewusst, worum es bei den Operationen wirklich ging –, aber Hilgers Verluste waren beträchtlich gewesen. So hatte er unter anderem seine Hongkonger Tarnung aufgeben und nach Shanghai übersiedeln müssen.
Beim desaströsen Ende der zweiten fehlgeschlagenen Operation hatte Dox Hilger mit Hilfe eines Stuhls vollkommen außer Gefecht gesetzt. Es hätte schlimmer ausgehen können – wenn Dox eine Schusswaffe gehabt hätte, wäre Hilger jetzt tot. So jedoch hatte er sich einen Monat später von der gewaltigen Beule am Kopf erholt, auch wenn die Erinnerung an die Sache deutlich länger hielt. Hilger konnte nicht leugnen, dass ihm die Vorstellung einiges Vergnügen bereitete, Dox schon bald in die Mangel zu nehmen, um die gewünschten Informationen aus ihm herauszupressen.
Pancho
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