Tokio Total - Mein Leben als Langnase
und war froh, ein junges japanisches Paar zu sehen, das am Tresen aß und trank. Dahinter kochten zwei alte Leute - die uralte Mutter und ihr betagter Sohn. Die Mutter war, wie so oft in Japan, die munterere von beiden.
Noch während ich mein Menü aus Sashimi, Misosuppe, eingelegtem Tofu und kleinen Köstlichenkeiten aß, begann, was ich befürchtete hatte. Die Alte machte Konversation und schreckte vor nichts zurück. Aus Sicht der anderen beiden Gäste wählte sie einen ziemlich steilen Einstieg.
»Da sitzt ja ein ganz schöner Gegensatz in meinem Lokal, du da drüben hast dunkelbraune Haut und der Ausländer hier ist ganz weiß.«
Japaner werden nicht gern dunkel genannt, das entspricht nicht dem Schönheitsideal. Und auch ich gefalle mir braun gebrannt besser als so gruftweiß wie nach langen Arbeitswochen.
»Na, immer noch besser als die Affen, die vom Hügel herunterkommen«, erzählte die Alte weiter. »Wisst ihr, dass die hier in der Gegend in der Lage sind, Türen aufzumachen?«
Wir machten Laute des Erstaunens.
»Ja, wirklich. Dann suchen sie im Wohnzimmer den Buddha-Altar für die Verstorbenen und klauen das Obst von der Opferschale.«
Sie plapperte munter weiter: »Mit wem bist du denn hier, wo ist deine Freundin?«
»Ich reise allein.«
»Also nein, das geht doch nicht. Das ist doch langweilig, und dann schmeckt auch das Essen nicht.« Zum Trost gab sie mir einen Krug von dem örtlichen Reisbranntwein aus - so bedauerte sie einen, der allein verreisen musste.
Japans Gruppenbewusstsein in der konservativen Gesellschaft macht es den Leuten manchmal schwer, den passenden Partner zum Heiraten zu finden. Auf ihrer Wahl lasten einfach die Erwartungen von zu vielen Leuten. Viele junge Frauen bleiben heute daher einfach Single.
Um den richtigen Partner zu finden, der wirklich alle Seiten zufriedenstellt, legen sich die Japaner ziemlich krumm. Immerhin müssen nicht nur die Schwiegereltern, sondern auch der Arbeitgeber und das sonstige soziale Umfeld einverstanden sein. Ein ganzes Buch, »Das Zeitalter der Ehepartnersuche«, beschäftigt sich mit dem Phänomen, das in
Japan unter dem Stichwort »Konkatsu« läuft, »Heiratsaktivitäten«. Der Verlag hat binnen eines Jahres 200 000 Exemplare verkauft und druckt fleißig nach. Autor Masahiro Yamada nennt das Problem offen beim Namen: Die Verkupplung durch die älteren Damen in der Nachbarschaft oder professionelle Heiratsvermittler hat aufgehört, aber Japan hat keinen geeigneten Ersatz gefunden.
Der Unterwäschehersteller Triumph hat sogar einen Konkatsu-Büstenhalter entwickelt, mit einer Uhr auf der Innenseite, die sich nur durch das Einführen eines Eherings stoppen lässt. In Baseballstadien gibt es Blöcke mit Konkatsu-Sitzen für ehewillige Männer und Frauen. Weil alle, die da sitzen, wissen, woran sie sind, können sie zwanglos ins Gespräch kommen. Alle anderen sind schließlich auch Singles, oder sie haben die falsche Karte gekauft.
Der Stadtrat meines Viertels organisiert Konkatsu-Partys, um die Geburtenrate endlich zu erhöhen. Ein lose befreundeter Journalist in meinem Alter erzählte kürzlich bei einer Jahres-Vergessens-Feier, dass er gerade geheiratet habe. »Meine Frau hatte mir der Ressortleiter vorgestellt und zur Hochzeit empfohlen. Da habe ich sie gleich genommen, das erschien mir eine gute Gelegenheit zu sein«, erzählte er ganz locker. Die Gruppe - hier die Firma - sorgt im richtigen Japan auch für die Brautschau.
Auch Akiko hatte es offenbar nicht einfach. Über ihre Partnersuche redeten wir länger bei einem Trip in die Berge. Kenji war immer noch dabei, den Sinn seines Autos unter Beweis zu stellen, und fuhr uns zur »Schlucht des aufgestiegenen Eremiten«, Shosenkyo. Aus der Schlucht führte eine Seilbahn auf den Eremitenberg. Von der Bergstation mit
allen Annehmlichkeiten wie Restaurant, einem Schrein und zwanzig Getränkeautomaten führte ein Waldweg in Richtung des eigentlichen Gipfels. Diese Ecke Honshus sah aus wie eine Berglandschaft in Süddeutschland. Wir liefen auf losem Laub durch Mischwald.
Das Gespräch drehte sich schon bald um die Partnerwahl.
»Für Akiko wird die Zeit knapp«, provozierte Kenji. Das Bergklima schien Akiko gesprächig gemacht zu haben. Heute redete sie von Heirat, von geeigneten und ungeeigneten Männern, und sogar von Kindern.
»Die Typen haben alle so komische Erwartungen«, sagte sie. »Vor allem die mit Geld wollen, dass ich meinen Job aufgebe, um ihre Kinder liebevoll
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