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Tolstoi, A. K.

Tolstoi, A. K.

Titel: Tolstoi, A. K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Familie des Wurdalak
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darin, dass ich in einem Moment der Verärgerung um die Genehmigung ersuchte, und diese auch bekam, eine diplomatische Mission zu erfüllen, den Gospodar Moldawiens betreffend, der damals in Verhandlungen mit dem Kabinett in Versailles stand, welche Ihnen zu erläutern genauso langweilig wie unnötig wäre. Am Vorabend meiner Abreise stellte ich mich bei der Herzogin vor. Sie empfing mich weniger höhnisch als normalerweise üblich und sagte mir mit einer emotionalen Stimme:
    „D’Urfé, Sie machen da einen großen Fehler. Aber ich kenne Sie und weiß, dass Sie, sobald der Entschluss gefasst ist, sich nicht mehr anders entscheiden werden. Also bitte ich Sie nur um eines: Nehmen Sie dieses kleine Kreuz als Zeichen meiner Freundschaft an und tragen Sie es bis zu Eurer Rückkehr. Es ist eine Reliquie der Familie, welche uns viel bedeutet.“
    Mit einer für die Situation vielleicht ein wenig übertriebenen Ritterlichkeit habe ich nicht das Kreuz, sondern die sehr charmante Hand geküsst, die es mir reichte. Ich habe das Kreuz alsdann umgelegt und trage es noch heute.
    Ich werde Sie, meine Damen, weder mit den Einzelheiten meiner Reise noch mit meinen Beobachtungen über die Ungaren und die Serben, ein armes und ahnungsloses Volk, das dennoch ehrlich und mutig ist und das trotz der Unterdrückung durch die Türken nie seine Würde oder seine ehemalige Unabhängigkeit vergessen hat, ermüden. Es reicht Ihnen zu erzählen, dass ich, ein wenig Polnisch beherrschend, welches ich während eines Aufenthaltes in Warschau lernte, mir auch schnell die serbische Sprache aneignete, denn diese zwei Sprachen sowie das Russische und das Böhmische gehören, wie Sie zweifelsohne wissen werden, zu einer einzigen Sprache, die man als Slawonisch kennt.
    Als ich nun eines Tages in einem Dorf, dessen Name Sie nicht interessieren wird, ankam, beherrschte ich die Sprache gut genug, um mich zu verständigen. Ich fand die Bewohner des Hauses, in dem ich übernachten sollte, in einem Zustand der Betroffenheit vor, was mir besonders seltsam schien, da es Sonntag war, ein Tag, an dem das serbische Volk sich üblicherweise diversen Vergnügungen hingibt wie dem Tanzen, dem Hakenbüchsenschießen, dem Ringen oder ähnlichen Beschäftigungen. Ich schrieb das Verhalten meiner Gastgeber einem jüngst zugetragenen Unglück zu, und ich war gerade daran, mich zurückzuziehen, als sich mir ein etwa dreißigjähriger Mann von imposanter Statur näherte und mir die Hand gab.
    „Treten Sie ein, treten Sie ein, Fremder“, sagte er zu mir, „lassen Sie sich nicht von unserer Traurigkeit abschrecken, Sie werden es verstehen, sobald Sie die Geschichte kennen.“
    Er erzählte mir alsdann von seinem alten Vater, der Gorcha hieß, ein Mann, der von Charakter angsteinflößend und unnachgiebig war, dieser stand eines Tages von seinem Bett auf und nahm die an der Mauer aufgehängte Hakenbüchse herunter.
    „Kinder“, hatte er seinen zwei Söhnen, Georges und Pierre, gesagt, „ich werde in die Berge gehen und mich den mutigen Männern anschließen, die diesen Hundesohn Alibek jagen (dies war der Name eines türkischen Räubers, der schon während einiger Zeit das Land verwüstete). Wartet zehn Tage lang auf mich, und wenn ich am zehnten Tag nicht wiederkomme, so lasst eine Totenmesse für mich aussprechen, denn da werde ich getötet worden sein. Aber“, fuhr der alte Gorcha todernst fort, „falls ich (Gott beschütze euch davor) zurückkomme, nachdem diese zehn Tage abgelaufen sind, lasst mich, eurer Gesundheit wegen, nicht ins Haus eintreten. In diesem Falle befehle ich euch zu vergessen, dass ich euer Vater bin, und mich mit einem Pfahl aus Espenholz zu durchbohren, unabhängig davon, was ich sagen oder tun werde, denn ich werde nur noch ein verfluchter Wurdalak sein, der gekommen ist, euer Blut zu saugen.“
    Übrigens muss ich Ihnen erklären, meine Damen, dass die Wurdalaks , oder auch bekannt als die Vampire der slawischen Völker, ihrer Meinung nach nichts mehr sind als Leichen, die aus ihren Gräbern steigen, um das Blut der Lebenden zu saugen. Soweit sind ihre Gewohnheiten dieselben wie bei allen anderen Vampiren, aber sie besitzen eine besondere Eigenart, die sie schrecklicher macht als alle anderen. Die Wurdalaks , meine Damen, saugen vorzugsweise das Blut ihrer nächsten Familienmitglieder und das ihrer engsten Freunde, die sobald tot, selbst Vampire werden, und so, sagt man, wurden in Bosnien und Ungarn ganze Dörfer zu Wurdalaks verwandelt. Der

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