Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
Vom Netzwerk:
chère Nièce,
« sagte die Tante, »du wirst bald wieder in deine Fassung kommen; denn es ist ein gar lieber Jüngling, das muß ich bekennen!« – »Ja, ich leugne es nicht,« sagte Sophie, »ich kenne keinen von so viel Vollkommenheiten! So herzhaft und doch so sanftmütig; so witzig und doch so schonend; so menschlich, so höflich, so artig, so schön und wohl gewachsen! Was thut seine niedrige Herkunft, wenn man sie solchen Eigenschaften entgegenstellt, wie diese?« – »Niedrige Herkunft! Was niedrige Herkunft! Ist Junker Blifil,« sagte die Tante, »von niedriger Herkunft?« Sophie ward plötzlich bleich und blaß, bei dem Namen, den sie mit erstickter Stimme wiederholte. Worauf ihre Tante schrie: »Junker Blifil, nun ja! Junker Blifil! Von wem sonst haben wir denn gesprochen?« »Gütiger Himmel!« antwortete Sophie, auf'm Punkte, in Ohnmacht zu sinken, »vom Herrn Jones, dacht' ich. Ich gewißlich, ich wüßte keinen andern, der verdiente –.« – »Nun,
ma foi,
« rief die Tante, »nun erschreckst du mich wieder, daß ich mich nicht zu lassen weiß. Ist es Jones und nicht Junker Blifil, der dein Herz eingenommen hat?« – »Junker Blifil!« widerholte Sophie. »Nun, [254] gewiß gnädigste Tante, das kann nicht Ihr Ernst sein; wär' es dennoch, so wäre ich das unglücklichste Mädchen von der Welt!« Ihro Gnaden, Fräulein von Western, standen jetzt ein paar Augenblicke in tiefem Stillschweigen, derweil Funken des heftigsten Zorns aus ihren Augen sprühten; endlich faßte die mannhafte Dame das
fortissimo
ihrer Stimme und donnerte dann heraus, in folgenden artikulierten Tönen:
    »Wie kann es dir einfallen, deiner Familie den Schandfleck anzuhängen, einen Bastard zu ehelichen! Kann das Westernsche Blut eine so unreine Vermischung zulassen? Wenn deine Vernunft nicht stark genug ist, eine so unnatürliche Liebe zu unterdrücken: so dächt' ich, hätte dich der Stolz auf deine uralte Familie abhalten sollen, nur mit einem Gedanken auf so eine horrible Mesalliance zu verfallen. Viel weniger noch hätte ich mir nur träumen lassen, daß du so dreist sein könntest, mir so etwas ins Angesicht zu gestehen.«
    »Gnädigste Tante,« erwiderte die zitternde Sophie, »was ich gesagt habe, das haben Sie mir abgepreßt. Ich erinnere mich nicht, den Namen des Herrn Jones, in gewissen Absichten, gegen irgend jemand genannt zu haben; und noch wäre es nicht geschehen, hätte ich nicht gemeint, er habe den Beifall meiner Tante. Wie vorteilhaft ich auch von dem armen unglücklichen jungen Menschen denken mochte, so war ich willens, diese Gedanken mit mir ins Grab zu nehmen. – Ja, ins Grab, wo ich, wie ich nun finde, einzig und allein meine Ruhe suchen muß.« – Hier sank sie nieder auf ihr Kanapee, und in Thränen schwimmend, in dem rührenden Schweigen eines stummen Grames stellte sie einen Anblick dar, welcher fast das härteste Herz hätte bewegen müssen.
    Aber diese rührende Betrübnis erregte bei ihrer Tante kein Mitleiden. Vielmehr geriet sie nun in den wütendsten Zorn. – »Und ich wollte lieber,« schrie sie mit fast krachender Stimme, »dir zu deinem Grabe folgen, als mit ansehen, daß du dich und deine Familie durch eine solche Bettelmariage beschimpftest! Himmel, Himmel! hätte ich jemals vermuten können, so lange zu leben, daß ein Fräulein von Western, meine eigene
Nièce,
eine Affektion für solch einen niedrigen Menschen hegen und gestehen würde. Du bist die erste – ja Fräulein von Western, Sie sind die erste Ihres Namens, der ein so pöbelhafter Gedanke in den Sinn kam. – Eine Familie, so berühmt wegen der ungemeinen Klugheit ihrer weiblichen Deszendenz!« – – Hier ging das noch eine volle Viertelstunde immer so fort, bis sie, nachdem mehr ihre Brust als ihre Wut erschöpft war, mit der Drohung schloß, sie wolle es augenblicklich ihrem Bruder hinterbringen.
    [255] Sophie warf sich ihr nun zu Füßen, ergriff ihre Hände und bat sie mit Thränen, »sie möchte doch das, was sie ihr abgelockt hätte, verschweigen, und doch die Gemütsheftigkeit ihres Vaters beherzigen;« und beteuerte, »daß ihre Leidenschaft, so warm sie auch sein möchte, sie doch niemals verleiten sollte etwas zu thun, das ihn beleidigen könnte.«
    Die Tante Western stand eine Weile und sah sie an; und als sie sich besonnen, sagte sie: »Auf eine Bedingung wolle sie das Geheimnis ihrem Bruder verschweigen, und die wäre, daß Sophie versprechen müsse, Herrn Blifil noch heute nachmittag als ihren Liebhaber zum

Weitere Kostenlose Bücher