Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Besuche anzunehmen, und ihn als die Person zu betrachten, welche ihr Gemahl werden sollte.«
Die arme Sophie war zu sehr in der Gewalt ihrer Tante, um ihr irgend etwas geradezu abzuschlagen; sie war genötigt, zu versprechen, daß sie Herrn Blifils Besuch annehmen und so höflich als möglich gegen ihn sein wollte. Nur bat sie ihre Tante, sie möchte hindern, daß die Sache mit dem Ehekontrakt nicht übereilt würde. Sie sagte: »Junker Blifil sei ihr nichts weniger als angenehm, und sie hoffe, ihr Vater würde sich erbitten lassen, sie nicht zur unglücklichsten Person von der Welt zu machen.«
Die Tante versicherte ihr: die Verbindung sei völlig ausgemacht, und nichts könne oder solle sie rückgängig machen. »Ich muß bekennen,« sagte sie, »ich habe die Sache mit gleichgültigen Augen betrachtet; ja, vielleicht hätte ich vorher noch meine gewisse Bedenklichkeiten dabei gehabt, die ich aber wirklich unterdrückte, weil ich glaubte, die Verbindung wäre so ganz nach deiner eigenen Neigung; von nun an aber betrachte ich sie als die allerratsamste Sache von der Welt; und es soll auch, wenn ich es verhindern kann, kein Augenblick Aufschub stattfinden.«
Sophie erwiderte: »Aufschub wenigstens darf ich sowohl von meiner gnädigsten Tante, als von meines Vaters Güte erwarten. O gewiß, Sie sind so gnädig und verwilligen mir Zeit, um mich zu bestreben, eine so starke Abneigung, als ich gegenwärtig gegen seine Person habe, zu überwinden.«
Die Tante antwortete: »Sie kenne die Welt viel zu gut, um sich so hintergehen zu lassen; da sie nunmehr wisse, daß eine andere Mannsperson ihre Zuneigung besäße, so würde sie Herrn Western bereden, mit der Vermählung soviel als möglich zu eilen. Es würde in der That, eine elende Politik sein,« fuhr sie fort, »eine Belagerung in die Länge zu ziehn, wenn die feindliche Armee in der Nähe ist und mit Entsatz droht. Nein, nein, Sophiechen,« sagte sie, »ich bin überzeugt, du hast eine heftige Leidenschaft, die du niemals mit
Honneur
befriedigen kannst. Ich will alles mein [256] Mögliches thun, deine
Honneur
außer Verantwortung der Familie zu setzen. Denn, wenn du vermählt bist, so sind das Sachen, um die sich dein Gemahl allein zu bekümmern hat. Ich hoffe,
mon enfant,
du wirst allemal so klug und vorsichtig handeln, als es dir geziemt; thätest du das aber nicht – nun, so hat die Mariage schon manche Frau bei Ehren erhalten.«
Sophie verstand wohl, was ihre Tante meinte; fand es aber nicht ratsam, darauf zu antworten. Unterdessen faßte sie den Entschluß, Herrn Blifils Besuch anzunehmen und sich gegen ihn so höflich zu benehmen, als sie könne: denn auf diese einzige Bedingung erhielt sie von ihrer Tante das Versprechen, das Geheimnis ihrer Liebe zu verschweigen, welches mehr ihr widriges Geschick, als alle Politik der Tante, ihr unglücklicherweise abgelockt hatte.
Sechstes Kapitel.
Ein Dialog zwischen Sophien und Jungfer Honoria, welcher ein wenig jene zartweichen Gefühle besänftigen mag, die in dem Gemüt eines gutherzigen Lesers durch die vorige Szene erregt sein dürften.
Nachdem Ihro Gnaden, Tante von Western, die Zusage von ihrer Nichte erzwungen hatten, die wir in dem vorigen Kapitel ersehen, begaben Sie sich hinweg, und unmittelbar darauf trat herein Jungfer Honoria. Sie saß und arbeitete im Nebenzimmer und war durch gewisse laut vorragende Töne im vorigen Dialog ans Schlüsselloch gerufen worden, an welchem sie dann solange verharrt hatte, bis er völlig geschlossen war. Bei ihrem Eintritt ins Zimmer fand sie Sophie ohne alle Bewegung stehend und mit über die Wangen rollenden Thränen. Worauf sie dann augenblicklich eine gehörige Quantität Thränen an ihre eigenen Augen beorderte, und darauf also begann: »O Jemine! 'r Gnaden, gnädigs Frölen, was gibt's denn!« – »Nichts!« sagte Sophie. – »O teuerste 'r Gnaden,« antwortete Jungfer Honoria, »sagen Sie mir das nicht, wenn 'r Gnaden so im Unheil sind, und wenn solch'n Präambulum zwischen 'r Gnaden und 'r Gnaden Tante gewest ist.« – »Lasse Sie mich zufrieden,« erwiderte Sophie, »ich sage Ihr, es ist nichts – gütiger Gott! warum ward ich geboren!« – »Näe, 'r Gnaden,« sagte Jungfer Honoria, »das sollen S'e mir nicht weißmachen, daß 'r Gnaden so lamentierten um nichts und wieder nichts. Mein'r Ehr, 'ch bin nur 'ne Aufwartjungfer: aber fürwahr 'ch bin 'r Gnaden immer treu gewest, und mit mein'm Leben wollt 'ch 'r Gnaden [257] dienen, wenn's hülf'; das sag 'ch
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