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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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jeden verständigen Mann höchst unausstehlich sind, so war kaum das Tischtuch abgehoben, als Jones fortging, und ein wenig unbarmherzigerweise Madame Whitefield sitzen ließ, eine Buße zu thun, die wie ich oft von vernünftigen Gastwirten klagen gehört habe, das bitterste Los ist, welches ihrem Berufe anklebt; nämlich die Notwendigkeit, worin sie sich befinden, ihren Gästen Gesellschaft zu leisten.
    Jones hatte kaum den Eßsaal verlassen, als der Dielenläufer Madame Whitefield mit lispelndem Tone fragte: »ob sie den feinen Zeisig kenne?« Sie antwortete: »sie habe den Herrn niemals gesehen.« – »Den Herrn? ja, ja!« versetzte der Dielenläufer, »ein wackrer Herr, wahrlich! Ein schändlicher Bankert ist's! Sein Vater war ein Kerl, der wegen Pferdediebereien am Galgen hängt. Er war ausgesetzt worden vor Alwerths Thüre, wo ihn eine Magd fand, in einem Korbe so voller Regenwasser, daß er gewiß ersäuft sein würde, wenn nicht ein ander Schicksal auf ihn lauerte.« – »Nun, nun! brauchen's nicht zu nennen das Schicksal! Wir wissen recht gut, was es ist!« schrie Dowling mit einem sehr pfiffigen Kopfnicken. – »Wohl«, fuhr der andere fort, »der Junker befahl man sollte ihn hereinnehmen, denn der Mann ist ein wenig ängstlich, wie bekannt, und besorgte, er möchte garstige Händel an den Hals kriegen; und so ward der Bastard aufgezogen, gefüttert und gekleidet, daß die ganze Welt hätte denken sollen, 's wäre ein Junker; und da schwängerte er dann eine Dienstmagd im Hause und beschwatzte die arme Hure, daß sie es dem alten Junker selbst an den Hals schwören mußte. Und nachher da schlug er einem gewissen Schwöger, einem Geistlichen einen Arm entzwei, bloß weil er ihm einen Ausputzer gegeben hatte, daß er so hinter den Huren herliefe; und hernach da schoß er von hintenzu mit einer Pistole nach Junker Blifil; und eines Tages, als der alte Junker Alwerth sterbenskrank lag, nahm er eine Trommel und trommelte im Hause herum, um ihn am Schlafen zu hindern; und zwanzig andere solche Bubenstreiche hat er gespielt, wofür er endlich vor vier oder fünf Tagen, kurz vorher als ich aus der Grafschaft reisete, vom Junker splitterfasennackend ausgezogen und aus'm Hause gejagt ist.«
    »Und das mit großem Recht dazu wahrhaftig!« sagte Dowling. »Meinen eigenen Sohn jagte ich zum Hause hinaus, wenn er mir nur halb soviel Tücke ausübte. Aber wenn ich bitten dürfte, wie heißt denn der Name dieses saubern Herrchens?«
    [92] »Sein Name?« antwortete der Plattfuß; »Nun! sie nennen ihn Tom Jones.«
    »Jones!« versetzte Dowling ein wenig hastig. »Was? Herr Jones, der beim Herrn Alwerth im Hause war! das war der Herr, der mit uns gegessen hat?« – »Eben derselbige;« antwortete der andre. – »Ich habe oft von dem Herrn gehört,« rief Dowling; »aber noch niemals etwas Schlimmes.« – »Und ich bin gewiß,« sagte Madame Whitefield, »wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was dieser Herr da erzählt, so hat Herr Jones das trüglichste Gesicht, das ich in meinem Leben gesehen habe; denn seine Blicke versprechen gewißlich ganz was anders, und ich muß sagen, nach dem wenigen was ich von ihm gesehn habe, ist er ein so artiger, wohlerzogner Mensch, als man sich nur zum Umgang wünschen könnte.«
    Der Dielenläufer besann sich, daß er noch keinen Eid gethan hätte, wie er oft für sich und seine Parteien thun mußte, besonders Zeugen- und Reinigungseide, und bekräftigte jetzt seine Verkleinerung mit so manchen Schwüren und Flüchen, daß der guten Frau davon die Ohren gellten, und sie seinen Verwünschungen dadurch ein Ende machte, daß sie ihm versicherte, sie glaube ihm! Worauf er sagte: »Madame, ich hoffe, Sie trauen mir zu, ich würde mich enthalten, so etwas von irgend einer lebendigen Seele zu sagen, wenn ich nicht wüßte daß es wahr wäre. Was hätte ich davon einem Manne seine Ehre abzuschneiden, der mir niemals was zu leide gethan hat? Ich versichre auf meine Ehre, eine jede Silbe, die ich gesagt habe, ist ein Faktum, und die ganze Grafschaft weiß das.«
    Da Madame Whitefield keine Ursache hatte zu argwöhnen, der Dielenläufer habe heimliche Beweggründe oder Versuchungen Herrn Jones zu verleumden: so kann sie der Leser nicht tadeln, wenn sie dem, was ihr unter so vielen Eiden versichert wurde, Glauben beimaß. Sie entsagte also ihrer Geschicklichkeit in der Physiognomik, und faßte von Stund' an eine so üble Meinung von ihrem Gaste, daß sie herzlich wünschte, er möchte nur erst

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